Wie könnte die vollständige Energiewende im Hümmling gelingen?

Forscher wollen für ein Untersuchungsgebiet im Emsland mit Hilfe von Modellierungen den besten Weg für eine vollständige Energiewende bei Strom, Wärme und Kraftstoffen herausfinden. Die Ergebnisse werden auch für viele ähnliche ländliche Regionen aufschlussreich sein. Beteiligt sind das 3N Kompetenzzentrum Niedersachsen Netzwerk Nachwachsende Rohstoffe und Bioökonomie, die Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) Hildesheim/Holzminden/Göttingen und die Technische Universität Clausthal.

Die Modellregion Hümmling umfasst vier Samtgemeinden im niedersächsischen Landkreis Emsland: Nordhümmling, Werlte, Sögel und Lathen. In der Region gibt es bereits ca. 40 Biogasanlagen, zwei Bioenergiedörfer, die Power-to-Gas-Anlage der Audi AG und einen geplanten Batteriespeicher der Enercon GmbH. In der ländlichen Region wird schon heute mehr regenerativer Strom erzeugt als dort insgesamt verbraucht wird. Gute Voraussetzungen also, um das Projektziel „100 % erneuerbare Energien in allen Sektoren“ zu erreichen. „Dafür brauchen wir jedoch eine stärkere Sektorenkopplung, d.h. wir müssen den erneuerbaren Strom, der uns zu bestimmten Zeiten heute schon im Überfluss zur Verfügung steht, stärker im Wärme- und Mobilitätsbereich nutzen. Dort ist der erneuerbare Anteil noch sehr gering“, erklärt Projektleiter Michael Kralemann von 3N. „Aktuell exportieren wir den Überschuss-Strom in andere Regionen, das belastet die Netze. Könnten wir mehr vom bei uns erzeugten regenerativen Strom selbst verbrauchen, würde auch der Netzausbaubedarf sinken.“

Im Projekt modellieren die Forscher computergestützt Szenarien mit unterschiedlichen technischen Lösungsansätzen für eine stärkere Sektorenkopplung. Außerdem untersuchen sie Szenarien für eine flexiblere erneuerbare Stromerzeugung, die sich der schwankenden Nachfrage besser anpassen kann. Für beide Ziele bewerten sie anhand der Modellierungen die Auswirkungen für die gesamte Region und brechen sie auf konkrete Fallbeispiele herunter. So rechnen sie die Möglichkeit durch, im Ortskern von Werlte ein durch erneuerbare Wärme versorgtes Nahwärmenetz zu installieren. Nach dem Vorbild Dänemarks, das seinen Bedarf an Heizwärme zu 63 Prozent über Wärmenetze deckt, wird über ein modernes, energiesparendes Niedertemperaturnetz nachgedacht. Dafür bedarf es aber bei den Abnehmern auch der entsprechenden Heizungstechnik. Da in Werlte sowohl eine Sanierung des Rathauses als auch ein Neubau der Grundschule ansteht, könnte diese Heizungstechnik dort gleich mit eingebaut werden. Die Forscher konzipieren das Netz technisch, kalkulieren seine Wirtschaftlichkeit und liefern den Akteuren vor Ort so eine solide Entscheidungsgrundlage.

Während das Wärmenetz ein Beispiel für die Kopplung von Strom- und Wärmesektor ist, steht ein Gewerbebetrieb in Werlte exemplarisch für die Kopplung von Strom und Mobilität. Die Forscher untersuchen ein Szenario, in dem der Betrieb den internen Verkehr komplett auf Elektromobilität umstellt und dabei induktives, also kabelloses Laden nutzt. Sie prüfen auch, ob sich das Unternehmen für das sog. Demand-Side-Management eignet, eine Steuerung der Nachfrageseite: Tanken die Fahrzeuge nur zu Zeiten Strom, in denen die Nachfrage ansonsten gering ist und fungieren mit ihren Batterien in den übrigen Zeiten als Speicher, könnte dies das gesamte Energiesystem stützen.

Bioenergie spielt eine Schlüsselrolle in dem Vorhaben, zum einen aufgrund der großen Potenziale, die diese Energieform für die Sektorenkopplung mitbringt – sie ist speicherfähig und flexibel für die Wärme-, Strom- und Kraftstofferzeugung einsetzbar. Zum anderen, weil es in der Modellregion Hümmling besonders viele Bioenergieanlagen gibt, deren Zukunft mit dem Auslaufen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ungewiss ist.

„Das Besondere an unserem Projekt ist vor allem die enge Zusammenarbeit aller wichtigen Akteure in der Modellregion, von den Biogasanlagen- und Netzbetreibern über die Unternehmen bis zu den Kommunen. Dadurch werden wir eine sehr gute Datengrundlage haben, die uns sehr realistische Modellierungen erlaubt“, erklärt Kralemann. Wenn alles nach Plan läuft, können die Forscher so zum Projektende 2021 ziemlich genau beurteilen, wie weit der Hümmling bis zum Jahr 2040 bei der Energiewende tatsächlich kommen kann. Und sie können empfehlen, welches der technisch und ökonomisch sinnvollste Weg dafür wäre.

Das Vorhaben wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über den Projektträger Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) gefördert. Informationen stehen auf fnr.de unter den Förderkennzeichen 2202561722031718 und 22031818 zur Verfügung.

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