Nachhaltigkeit in der Lieferkette: Ein praktischer Leitfaden zu ESRS und EU-Omnibus für KMU

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Mittwoch, Okt. 8, 2025
Das Wichtigste in Kürze
Einleitung: Nachhaltigkeit ist kein Nischenthema mehr – Was jetzt auf KMU zukommt
Die Zeiten, in denen Nachhaltigkeit ein optionales Thema für die Imagebroschüren von Großkonzernen war, sind endgültig vorbei. Die Europäische Union gestaltet die Spielregeln der Wirtschaft grundlegend um. Mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und den dazugehörigen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) schafft sie einen verbindlichen Rahmen, der Transparenz und Vergleichbarkeit im Nachhaltigkeitsbereich erzwingt. Das übergeordnete Ziel ist es, Kapitalströme gezielt in nachhaltige Unternehmen zu lenken und so den „European Green Deal“ zu verwirklichen. Dieser Wandel ist keine vorübergehende Modeerscheinung, sondern eine grundlegende Veränderung der Art und Weise, wie unternehmerischer Erfolg bewertet wird. Nachhaltigkeitsberichte werden auf eine Stufe mit der Finanzberichterstattung gehoben, inklusive der Pflicht zur externen Prüfung.
Die wichtigste Botschaft für Sie als kleines oder mittleres Unternehmen (KMU) lautet: Auch wenn Sie die gesetzlichen Schwellenwerte für eine direkte Berichtspflicht nicht überschreiten, sind Sie möglicherweise von diesen neuen Regelungen betroffen. Der Grund dafür ist der sogenannte „Trickle-Down-Effekt“. Große, berichtspflichtige Unternehmen sind verpflichtet, über die Nachhaltigkeitsaspekte ihrer gesamten Wertschöpfungskette zu berichten. Das schließt explizit ihre Lieferanten und Dienstleister mit ein. Folglich werden Ihre Kunden, sofern es sich um größere Unternehmen handelt, detaillierte Nachhaltigkeitsdaten von Ihnen anfordern. Wer auf diese Anfragen nicht vorbereitet ist, riskiert einen spürbaren Wettbewerbsnachteil und im schlimmsten Fall den Verlust von Aufträgen.
Dieser Beitrag legt einen besonderen Fokus auf die soziale Komponente der Nachhaltigkeit – das „S“ in ESG (Environmental, Social, Governance). Themen wie gerechte Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen, Vielfalt und die Achtung von Arbeitnehmerrechten rücken in den Mittelpunkt der Berichterstattung. Für jedes KMU sind die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Menschen in der Lieferkette das wertvollste Kapital. Genau hier setzen die neuen Regelungen an und verlangen Transparenz. Die Daten, die Ihre Kunden von Ihnen anfordern, sind nicht mehr für eine optionale Marketing-Broschüre bestimmt, sondern für einen rechtlich verbindlichen, geprüften Lagebericht. Die Qualität und Verlässlichkeit der von Ihnen gelieferten Informationen werden daher einer genauen Prüfung unterzogen.
Hintergrund: ESRS und die EU Omnibus-Richtlinie
Um die neuen Anforderungen zu verstehen, ist es wichtig, die zentralen Begriffe und deren Zusammenspiel zu kennen. Die regulatorische Landschaft mag auf den ersten Blick komplex erscheinen, lässt sich aber auf einige Kernpunkte herunterbrechen.
Was sind die ESRS? Das neue Regelwerk einfach erklärt
Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) ist die übergeordnete EU-Richtlinie, welche die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung vorschreibt. Sie ersetzt die bisherige, weniger weitreichende Non-Financial Reporting Directive (NFRD).
Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) sind die konkreten Spielregeln, die detailliert festlegen, was und wie Unternehmen berichten müssen. Sie wurden von der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG), einer beratenden Expertengruppe der EU, entwickelt. Die ESRS sind modular aufgebaut und gliedern sich in drei Hauptkategorien:
Die EU Omnibus-Richtlinie: Eine notwendige Kurskorrektur
Die EU-Kommission hat erkannt, dass die ursprünglichen Pläne der CSRD und ESRS für viele Unternehmen, insbesondere für den Mittelstand, eine erhebliche bürokratische Belastung dargestellt hätten. Wirtschaftsverbände wie der DIHK und ZDH warnten vor einer Überforderung der Betriebe. Als Reaktion darauf wurde ein Vorschlag für eine sogenannte EU-Omnibus-Richtlinie vorgelegt. Ihr erklärtes Ziel ist es, den administrativen Aufwand zu reduzieren und die Regeln praxistauglicher zu gestalten.
Die wichtigsten Änderungen umfassen:
Diese Richtlinie ist jedoch keine Kehrtwende in der Politik, sondern eine politische Kurskorrektur. Das Kernziel der Transparenz entlang der Wertschöpfungskette bleibt bestehen. Statt viele KMU direkt zur Berichterstattung zu zwingen, stärkt die EU nun den indirekten Mechanismus über die Lieferkette.
Zeitplan & Geltungsbereich: Wer muss wann berichten (und was bedeutet das für Sie)?
Die Einführung der Berichtspflicht erfolgt gestaffelt. Während die Omnibus-Richtlinie die genauen Zeitpläne und Schwellenwerte noch anpasst, gilt grundsätzlich:
Um den Aufwand für KMU zu steuern, entwickelt die EU spezielle, vereinfachte Berichtsstandards:
Für KMU verschiebt sich damit der strategische Fokus. Die Frage ist nicht mehr primär „Bin ich direkt berichtspflichtig?“, sondern „Wie kann ich den VSME-Standard effizient nutzen, um die Anforderungen meiner Kunden zu erfüllen und mein Geschäft zu sichern?“.
Die soziale Komponente der ESRS – Was ist gefordert?
Ein zentraler Pfeiler der ESRS ist die soziale Dimension. Anders als bei den Umweltstandards, die nach Themen wie Klima oder Wasser gegliedert sind, orientieren sich die sozialen Standards (S-Standards) an den betroffenen Personengruppen (Stakeholdern). Dieser Ansatz macht die Anforderungen greifbarer und praxisnäher.
Übersicht der sozialen Themen
Die vier zentralen sozialen Standards decken folgende Gruppen ab:
Für KMU sind insbesondere die Standards S1 und S2 von unmittelbarer Relevanz, weil sie die Kernbereiche Personal und Lieferkette abdecken.
Konkrete Anforderungen aus ESRS S1 – Eigene Belegschaft
ESRS S1 verlangt detaillierte Angaben zu den Arbeitsbedingungen und Rechten der eigenen Mitarbeitenden. Auch wenn Sie als KMU nicht direkt nach diesem Standard berichten müssen, geben die Anforderungen einen klaren Hinweis darauf, welche Informationen Ihre Kunden von Ihnen erwarten könnten. Die Hauptthemen sind:
Konkrete Anforderungen aus ESRS S2 – Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette
Dieser Standard überträgt die Logik von S1 auf die gesamte Lieferkette. Große Unternehmen müssen nun Risiken und tatsächliche Auswirkungen identifizieren, die ihre Geschäftstätigkeit auf die Mitarbeiter ihrer Partner hat. Für KMU als Zulieferer bedeutet das, dass sie mit Anfragen zu genau diesen Themen rechnen müssen.
Die Anforderungen für die eigene Belegschaft (ESRS S1) dienen somit als eine Art Blaupause für die Erwartungen an die Lieferkette (ESRS S2). Ein berichtspflichtiges Unternehmen wird die Fragen, die es für sich selbst beantworten muss, in ähnlicher Form an seine Lieferanten weitergeben. Wenn Sie als KMU also Ihre internen Prozesse in Bezug auf faire Bezahlung, Sicherheit und Vielfalt analysieren und dokumentieren, haben Sie bereits einen Großteil der Vorarbeit für die Anfragen Ihrer Kunden geleistet.
Ein kurzer Blick auf ESRS S3 und S4
Obwohl für die meisten KMU weniger unmittelbar relevant, vervollständigen diese beiden Standards das Bild der sozialen Verantwortung:
Was bedeutet das konkret für KMU – auch wenn sie (noch) nicht direkt berichtspflichtig sind?
Die abstrakten Vorschriften der ESRS werden für KMU durch den sogenannten Kaskadeneffekt zu einer handfesten unternehmerischen Realität. Die Berichtspflichten der Großen „tröpfeln“ die Lieferkette hinab und manifestieren sich in Form konkreter Datenanfragen.
Der Kaskadeneffekt in der Praxis: Die Datenanfrage kommt bestimmt
Stellen Sie sich ein großes, berichtspflichtiges Unternehmen vor, zum Beispiel einen Automobilhersteller. Für die Erstellung seines gesetzlich vorgeschriebenen Nachhaltigkeitsberichts muss dieser Hersteller den Abschnitt zu ESRS S2 „Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette“ ausfüllen. Um dies tun zu können, benötigt er Informationen von seinen hunderten oder tausenden Zulieferern.
In der Praxis wird dieses Unternehmen standardisierte Fragebögen, Lieferantenselbstauskünfte oder Plattformen nutzen, um diese Daten systematisch zu erheben. Ein KMU, das beispielsweise Metallkomponenten liefert, erhält dann eine Anfrage mit konkreten Fragen zu:
Die neue Erwartungshaltung: Vom Lieferanten zum transparenten Partner
Die Entwicklung verändert die Kunden-Lieferanten-Beziehung grundlegend. Kunden kaufen nicht mehr nur ein Produkt zu einem bestimmten Preis und in einer bestimmten Qualität. Sie erwerben auch den Nachweis, dass dieses Produkt unter sozial und ökologisch verantwortungsvollen Bedingungen hergestellt wurde. Ein Lieferant, der keine oder nur unzureichende Daten liefern kann, stellt für den Kunden ein Risiko dar. Dieses Risiko ist vielfältig:
Die Beschaffungsabteilungen großer Unternehmen entwickeln sich daher von reinen Einkäufern zu Risikomanagern. Ihre Aufgabe ist es zunehmend, Nachhaltigkeitsrisiken in der Lieferkette zu minimieren. Ein Lieferant, der transparente und verlässliche Daten bereitstellen kann, wird als risikoärmer und damit als strategisch wertvoller eingestuft.
Der Wettbewerbsnachteil bei fehlender Vorbereitung
Die Konsequenzen für unvorbereitete KMU sind direkt und spürbar. Wenn Sie auf eine Datenanfrage Ihres wichtigsten Kunden nicht antworten können, Ihr direkter Wettbewerber aber eine umfassende, gut dokumentierte Auskunft liefert, geraten Sie ins Hintertreffen. Im Vergabeprozess für neue Aufträge wird die Fähigkeit, Nachhaltigkeitsdaten zu liefern, immer häufiger zu einem K.o.-Kriterium.
Umgekehrt bietet diese Entwicklung aber auch eine große Chance. Unternehmen, die ihre soziale und ökologische Leistung proaktiv erfassen und nachweisen können, positionieren sich als moderne, verlässliche und zukunftsfähige Partner. Sie heben sich vom Wettbewerb ab und können die neuen Anforderungen als Verkaufsargument nutzen. Nachhaltigkeitsdaten sind somit keine „weichen“ Faktoren für die Marketingabteilung mehr, sondern werden zu einer „harten“ Währung im Vertrieb und zu einer Voraussetzung für den Marktzugang.
So gelingt der Einstieg: konkrete Tipps für KMU
Die Fülle an neuen Anforderungen kann zu Beginn überwältigend wirken. Der Schlüssel zum Erfolg liegt jedoch nicht darin, sofort ein perfektes, allumfassendes System aufzubauen. Vielmehr geht es darum, pragmatisch und schrittweise vorzugehen und auf dem aufzubauen, was in Ihrem Unternehmen bereits vorhanden ist.
Interne Verantwortlichkeit klären
Der wichtigste erste Schritt ist, das Thema im Unternehmen zu verankern. Benennen Sie eine Person oder ein kleines, interdisziplinäres Team, das die Koordination übernimmt. Das kann die Geschäftsführung selbst sein, jemand aus der Personalabteilung, dem Qualitätsmanagement oder eine engagierte Person, die das Thema vorantreiben möchte. Ohne eine klare Zuständigkeit besteht die Gefahr, dass das Thema im Tagesgeschäft untergeht. Diese Person muss kein Nachhaltigkeitsexperte sein, sondern ein guter Koordinator und Motivator.
Konkrete Umsetzung der Maßnahmen
Best Practices: Was andere KMU gut machen
Die theoretischen Anforderungen lassen sich am besten anhand praktischer Beispiele verstehen. Die folgenden fiktiven, aber realistischen Fälle zeigen, wie KMU unterschiedlicher Branchen den Einstieg in die soziale Nachhaltigkeitsberichterstattung meistern können.
Praxisbeispiel 1: Maschinenbau-Zulieferer (180 Mitarbeiter)
Praxisbeispiel 2: Software-Dienstleister (80 Mitarbeiter)
Fazit und Ausblick
Die neuen europäischen Nachhaltigkeitsregeln sind mehr als nur eine weitere bürokratische Übung. Sie markieren einen Wendepunkt in der Art und Weise, wie unternehmerische Leistung gemessen und bewertet wird. Für kleine und mittlere Unternehmen ist die Auseinandersetzung mit den European Sustainability Reporting Standards eine strategische Notwendigkeit geworden.
Der Aufwand, der mit der Erfassung und Aufbereitung von Daten zu fairer Bezahlung, Arbeitsbedingungen und Lieferkettenmanagement verbunden ist, lohnt sich aus mehreren Gründen. Erstens sichert er die Geschäftsbeziehungen zu großen Kunden, für die diese Informationen zu einer rechtlichen Verpflichtung werden. Zweitens stärkt er die eigene Position im intensiven Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte, denn der Nachweis guter Arbeitsbedingungen ist ein unschätzbarer Vorteil im Employer Branding. Drittens macht er das eigene Unternehmen widerstandsfähiger und zukunftsfähiger, weil Risiken frühzeitig erkannt und Chancen im Wandel hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft aktiv genutzt werden können.
Der Appell an alle Verantwortlichen in KMU lautet daher: Warten Sie nicht, bis die erste dringende Anfrage eines Kunden auf Ihrem Schreibtisch landet. Handeln Sie proaktiv. Sehen Sie die neuen Regeln als Anstoß, Ihre internen Prozesse zu überprüfen, die Beziehung zu Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu stärken und Ihr Unternehmen als verantwortungsvollen und verlässlichen Akteur am Markt zu positionieren. Der Weg beginnt nicht mit einem perfekten Bericht, sondern mit dem ersten, pragmatischen Schritt.
Nützliche Links & Ressourcen
Die folgenden Quellen bieten weiterführende Informationen, praktische Hilfsmittel und direkte Ansprechpartner, um Ihnen den Einstieg zu erleichtern.
Offizielle Informationen und Standards
Unterstützung und Leitfäden für KMU
Konkrete Tools und Vorlagen
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