Hinterzimmer, Netzwerke, stille Deals: Die Wahrheit über Aufsichtsratsbesetzungen
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Dienstag, Nov. 25, 2025
Gleichzeitig nimmt der Druck auf die Gremien zu: Digitalisierung, KI, geopolitische Risiken, Nachhaltigkeit, verschärfte Regulierung – der Katalog an Anforderungen wächst schneller als viele Aufsichtsräte sich erneuern. Eine aktuelle Studie des Arbeitskreises deutscher Aufsichtsrat (AdAR) verweist auf neue Kompetenzfelder wie ESG, Digitalisierung und Geopolitik, die in den Gremien gezielt aufgebaut werden müssten.(adar.info)
Siehe Abbildung 1: Welche Themen bestimmen im Moment die Agenda Ihres Aufsichtsrats?
Zwischen notwendiger Vertraulichkeit und überholter „Vetternwirtschaft“ ist ein Streit entbrannt: Braucht es mehr Transparenz bei der Besetzung – oder würde ein offener Markt die Arbeit der Aufsichtsräte nur politisieren?
Ein Markt, der keiner sein will – aber alle spielen mit.
Die Zahlen zeigen die strukturelle Schieflage: In Deutschland gibt es zwar zehntausende Aufsichtsratsmandate – doch die „wesentlichen Mandate“ großer, umsatzstarker Gesellschaften sind laut einer vielzitierten Analyse auf einen Kreis von nur rund 200 bis 400 Personen konzentriert.(Jura HHU) Persönliche Bekanntschaft und Zugehörigkeit zu bestimmten Netzwerken spielen bei der Vergabe eine zentrale Rolle.
In der Praxis funktioniert der Markt so: Man kennt sich aus früheren Stationen, aus Verbänden, von Konferenzen oder aus dem eigenen Aktionärskreis. Frei werdende Mandate werden im vertrauten Umfeld besprochen, Namen zirkulieren informell – häufig, bevor überhaupt diskutiert wird, welche fachlichen oder persönlichen Kompetenzen ein zukünftiges Gremienmitglied eigentlich mitbringen sollte.
Öffentliche Ausschreibungen sind die Ausnahme. Auch Board-Berater Friedrich Vogel berichtet, dass viele Mandate „unter der Oberfläche“ vergeben werden – diskret, schnell, im engen Kreis. Dass dabei immer wieder dieselben Persönlichkeiten auf mehreren Mandatslisten auftauchen, ist eher Regel als Zufall.
Gute Gründe für die verdeckte Suche – aber nicht um jeden Preis
Befürworter des Status quo verweisen auf legitime Gründe für Diskretion:
Aus dieser Perspektive wirkt die verdeckte Suche wie ein notwendiger Schutzraum: Man will Gremien in Ruhe neu ordnen, ohne medialen Schlagabtausch, ohne laufende Spekulationen an den Kapitalmärkten.
Doch genau hier beginnt der kritische Teil der Debatte. Denn Diskretion kann sachlich begründet sein – oder bequeme Ausrede dafür, am vertrauten Kreis festzuhalten.
Wenn der geschlossene Zirkel zur Komfortzone wird
Kritiker sprechen offen von „Vetternwirtschaft“. Gemeint ist nicht zwangsläufig Korruption – sondern ein System, das sich selbst bestätigt. Es setzt auf bekannte Gesichter, bewährte Biografien und vertraute Denkweisen.
Die Folge:
Eine Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums zeigt zudem: Investoren achten zunehmend auf Diversität in Aufsichtsräten und machen eine vielfältige Besetzung zur Bedingung ihrer Engagement-Entscheidungen.(BMBFSFJ) Damit wird aus einer vermeintlich internen Frage der Gremienzusammensetzung ein klarer Governance- und Standortfaktor.
Genau an diesem Punkt entzündet sich die Debatte – denn während die einen auf mehr Transparenz und neue Profile drängen, sehen andere die Gefahr eines Aktionismus ohne inhaltliche Substanz. Board-Berater Friedrich Vogel, seit Jahren eine markante Stimme in der Governance-Landschaft, bringt diese Spannung auf den Punkt: „Der versteckte Markt ist nicht das Problem. Das Problem ist der Mut zur Erneuerung. Solange Unternehmen immer wieder die gleichen Personen nominieren, bleibt alles beim Alten – unabhängig davon, welche Kompetenzanforderungen auf den Folien stehen.“
Sein Einwand wirkt wie ein Kontrastmittel: Er legt offen, wo Veränderungsbereitschaft tatsächlich vorhanden ist – und wo Prozesse lediglich äußerlich modernisiert werden, während die Entscheidungslogik unverändert bleibt. Für Vogel ist deshalb nicht das Ende der Diskretion entscheidend, sondern ein professionellerer Umgang mit ihr.
Der Engpass liegt selten im Talent – sondern in der Sichtbarkeit
Interessant ist, dass aktuelle Governance-Analysen ein ambivalentes Bild zeichnen. Verschiedene Marktstudien zeigen: Unter den neu berufenen Aufsichtsratsmitgliedern großer börsennotierter Unternehmen ist ein erheblicher Anteil sogenannte „First Time Non-Executive Directors“, also Personen ohne vorherige Mandatserfahrung.
Auf den ersten Blick wirkt das wie eine Öffnung des Systems. Doch bei genauerer Betrachtung bleibt die Struktur fast unverändert: Der internationale Anteil in den Gremien stagniert oder sinkt, und viele Zugänge entstehen weiterhin über persönliche Kontakte und bestehende Netzwerke.
Das Kernproblem bleibt damit bestehen:
Der „versteckte Markt“ ist also nicht leer. Er ist übervoll – nur eben mit unterschiedlichen Sichtbarkeitsgraden.
Transparenz: Wunderwaffe oder brandgefährliche Idee?
Die Forderung nach einem „offenen Markt“ klingt zunächst simpel: Mehr Ausschreibungen, mehr publik gemachte Profile, mehr Nachvollziehbarkeit bei der Auswahl. Governance-Kodizes und Public-Corporate-Governance-Regelwerke des Bundes propagieren Transparenz als Grundprinzip guter Unternehmensführung. (DigitalService)
Doch was würde passieren, wenn Aufsichtsratsmandate tatsächlich ausgeschrieben würden wie leitende Angestelltenpositionen?
Realistisch wird die Lösung irgendwo dazwischen liegen: Mehr Transparenz bei Kriterien und Prozessen – ohne die notwendige Vertraulichkeit im Einzelfall preiszugeben.
Vom Hinterzimmer zur kuratierten Plattform
Genau an dieser Schnittstelle setzen spezialisierte Board-Berater an. Sie bewegen sich bewusst in der Grauzone zwischen offener Ausschreibung und rein informeller Empfehlung – und versuchen, den Kandidatenpool strukturiert zu vergrößern, ohne die Vertraulichkeit aufzugeben.
Ein Beispiel dafür ist die Arbeit des Beraters Friedrich Vogel, Gründer von Board Consulting. Er argumentiert, dass der Kreis potenzieller Kandidat:innen systematisch erweitert werden müsse, statt immer wieder auf dieselben Namen zurückzugreifen. Ziel sei es, ein belastbares Netzwerk aufzubauen, in dem Unternehmen – auch vertraulich – nach passenden Persönlichkeiten suchen können, während Kandidat:innen gleichzeitig ihre Sichtbarkeit für künftige Mandate erhöhen.
Mit dem von ihm initiierten „Board Summit“ in München soll genau dieser doppelte Effekt entstehen:
Formal bleibt der Markt „verdeckt“ – die eigentlichen Mandatsentscheidungen werden weiterhin im vertraulichen Rahmen getroffen. Inhaltlich aber verschiebt sich etwas Wesentliches: Der Kreis der Kandidat:innen wächst, wird diverser und weniger zufällig.
Wer zieht wirklich die Fäden? Investor, Politik oder der Ego-Club?
Die spannende Frage ist, wer den Wechsel von der geschlossenen Runde zum kuratierten Markt tatsächlich vorantreibt.
Der versteckte Markt als Governance-Lackmustest
Am Ende geht es in dieser Debatte um mehr als nur um einzelne Mandate. Der „versteckte Markt“ ist ein Lackmustest dafür, wie ernst es Unternehmen, Investoren und Politik mit moderner Corporate Governance wirklich meinen.
Wer Transparenz nur in Geschäftsberichten predigt, bei der Besetzung der Kontrollgremien aber auf das Prinzip „man kennt sich“ setzt, verschenkt Chancen – strategisch, reputativ und regulatorisch. Gleichzeitig wäre ein naiver Ruf nach totaler Öffentlichkeit ebenso kurzsichtig. Vertraulichkeit bleibt ein legitimer Schutzraum für sensible Personalentscheidungen.
Vielleicht liegt die eigentliche Herausforderung darin, diesen Schutzraum nicht länger als geschlossene Gesellschaft zu organisieren. Sondern als kuratierte Plattform, auf der Unternehmen und Kandidat:innen einander auf Augenhöhe begegnen – professionell begleitet, kompetenzbasiert, langfristig gedacht.
Ob Formate wie der Board Summit, spezialisierte Board-Consulting-Angebote und strengere Governance-Regeln den „versteckten Markt“ tatsächlich öffnen oder nur neu sortieren, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Klar ist bereits jetzt:
Wer künftig Aufsicht führen will, kann sich weder auf alte Netzwerke noch auf altes Wissen verlassen.
Und wer über Milliardeninvestitionen, Transformation und gesellschaftliche Verantwortung wacht, sollte seine Gremien nicht dem Zufall vertrauter Telefonnummern überlassen.
Quellen
Arbeitskreis deutscher Aufsichtsrat e.V. (AdAR). 2025. Aufsichtsratsstudie 2025 – Strategiefähigkeit im Aufsichtsrat. https://www.adar.info/fileadmin/public/user_upload/2025_AR_Studie_2025.pdf
OECD (2025). OECD Corporate Governance Factbook 2025. https://www.oecd.org/en/publications/oecd-corporate-governance-factbook-2025_f4f43735-en/full-report/the-board-of-directors_56efe758.html
Investors for Diversity, Data Report 2021 — Analyse der Diversitätsanforderungen institutioneller Investoren an Aufsichtsräte.) https://www.investorsfordiversity.org/data-report
Friedrich Vogel, Gründer der SELECTEAM Holding im Bereich Executive Search, Gründer der Board Consulting AG und Initiator und Schirmherr des Board Summit; seit über 40 Jahren im Markt für Aufsichtsrats- und Top-Management-Besetzungen tätig.
Governance Kodex (DCGK) – offizielle Standards für AR-Besetzung Deutscher Corporate Governance Kodex 2024/2025. https://www.dcgk.de/de/kodex
Die SELECTEAM Board Consulting AG ist ein erfahrener Dienstleister im Bereich Board Consulting und Executive Search. Mit fundiertem Fachwissen, pragmatischer Umsetzung und starker Branchenvernetzung beraten wir Unternehmen bei der Positionierung von Aufsichtsräten, Beiräten und Executives sowie der Nachfolgeplanung. Als Veranstalter des Board Summit vernetzen wir Gremienmitglieder, Executives und Entscheider:innen, setzen Impulse und stärken Diversität in Führungs- und Gremienstrukturen.
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