Beschäftigungstagesstätte Neukölln: Alles außer maßstabsgetreu

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Donnerstag, Aug. 14, 2025
Wer morgens an der U-Bahn-Station Karl-Marx-Straße steht und die Bahn im Tunnel rauschen hört, entdeckt sie vielleicht im Vorübergehen: eine Glasvitrine, mittig am Bahnsteig. Darin ein Modell. Miniaturhafte Zimmer, winzige Möbelstücke, gespitzte Buntstifte, hier und da eine Katze aus Knetmasse. Wer genauer hinsieht, erkennt: Das ist kein Spielzeug, sondern ein Abbild. Es zeigt unsere Beschäftigungstagesstätte Neukölln – liebevoll nachgebaut von Klien*tinnen, gemeinsam mit den Kunsttherapeut*innen der Einrichtung.
Hinterhofkosmos
Das Original befindet sich in der Donaustraße. Hier beginnt der Tag gegen halb neun. Es wird gekocht, gemalt, geredet, gegessen. Die meisten Klient*innen sind langjährig erkrankt und stehen dem regulären Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung. In der Tagesstätte finden sie verlässliche Strukturen, Raum für kreative Entfaltung und neue Bekanntschaften. Wer mag, kann hier bis zu fünf Tage die Woche von 9 bis 16 Uhr verweilen.
Einrichtungsleiterin Kirsten Iglauer arbeitet seit fast drei Jahrzehnten hier. „Viele unserer Besucher*innen haben lange Klinikaufenthalte hinter sich“, sagt sie. „Hier finden sie ein Stück Alltag zurück – manche über viele Jahre hinweg.“
Der Weg hierher
Beschäftigungstagesstätte – ein sperriger Begriff, der für viele erst einmal Fragezeichen hinterlässt. Wie kommt man in eine solche Einrichtung?
Oft führt der Weg über Angehörige: eine Tochter, die sich um ihre depressive Mutter sorgt, oder ein aufmerksamer Nachbar, der merkt, dass es dem Herrn in der Wohnung gegenüber nicht gut geht. Dann genügt oft ein kurzer Anruf. Das Team berät, prüft, ob die Einrichtung passt, und unterstützt bei der Klärung mit dem Teilhabefachdienst, der in den meisten Fällen die Kosten übernimmt.
Buntes Schaffen
Ob Holzwerkstatt, Kunsttherapie oder Theatergruppe: das Angebot ist vielfältig, aber kein Selbstzweck. Es schafft Halt und Handlungsspielräume. An diesem Vormittag spannt Kunsttherapeut Björn Noack gemeinsam mit einem Klienten eine Leinwand auf. Das Motiv stammt aus einem Kalender: ein See im Gegenlicht. Die beiden überlegen, ob es einen Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang zeigt. Vielleicht ändert sich das auch von Tag zu Tag – so wie das Bild, das der Herr nun mit Bleistift skizziert, um es später mit Öl- oder Aquarellfarben festzuhalten.
„Wichtig ist vor allem, dass etwas entsteht, dass sich in der Welt der Klient*innen etwas bewegt.“, sagt Noack. Zuvor arbeitete er in der Suchthilfe. Heute begleitet er kreative Prozesse mit wachem Blick für Zwischentöne. Auch am Modell in der Vitrine hat er mitgewirkt.
Ein kurzer Moment, der hängen bleibt
Im Alltagstrott, den Blick im Handy, mag man das Modell leicht übersehen. Wer sich aber darauf einlässt, merkt schnell: Es steckt viel darin. Wahrscheinlich zu viel, um es in zehn Minuten Wartezeit zu erfassen. Es ist eine Einladung zum genaueren Hinschauen und zum Mitfühlen.
Jemand im eigenen Umfeld wirkt zurückgezogen? Niedergeschlagen? Könnte Struktur und menschliche Zugewandtheit gebrauchen? Die Beschäftigungstagesstätte ist offen für neue Gesichter – aktuell sind noch wenige Plätze frei. Diese Information findet man direkt an der Vitrine oder, falls der Blick doch im Bildschirm bleibt, auf unserer Website.
„Normal gibt es nicht. Das Leben besteht aus guten und weniger guten Phasen.“ – so heißt es hier. Und manchmal beginnt etwas Gutes mit einem einzigen Blick über den Vitrinenrand.
Unionhilfswerk
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