Gute Impulse, risikobereite Umsetzung

Der Landtag NRW hat gestern Abend (26.10.23) die Änderung der Landesbauordnung für Nordrhein-Westfalen beschlossen. Nach Einschätzung der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen ist die künftige Bauordnung Ausdruck einer ausgeprägten Innovationsbereitschaft für wichtige Aufgabenfelder des Bauens: Weitere Digitalisierung, mehr Ökologie, schnellere Verfahren und damit Dämpfung der Baukosten. Die neue Bauordnung ist zugleich geprägt durch Risikobereitschaft. – Die umfangreichen Änderungen treten zum 1. Januar 2024 in Kraft.

Digitalisierung

Bauanträge können zukünftig immer digital gestellt werden, auch wenn sie nicht über das Bauportal des Landes eingereicht werden. Das ist nach Ansicht der Architektenkammer NRW ein wichtiger Schritt, um die Verfahren zu beschleunigen. „Bereits für die Entwicklung des Bauportals NRW ist die Abkehr von der sogenannten Schrifterfordernis essenziell gewesen“, unterstreicht Ernst Uhing, Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen. Wenn nun digitalisierte Wege für alle Verfahren, also auch am Bauportal vorbei, geöffnet werden, müsse man umso mehr für den Anschluss der Bauordnungsbehörden an das Bauportal werben. Sonst zerfasere die begrüßenswerte Idee, Schnittstellen zu zentralisieren, so die Architektenkammer NRW.

Ökologie

„Die Einführung einer Solarpflicht ist ein wichtiger Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit“, erklärte Kammerpräsident Ernst Uhing. Besonders förderlich sei der Verzicht auf einen vorgegebenen Abstand von Solarmodulen zum Nachbarn. Das verbessert nach Auffassung der NRW-Architektenschaft die Nutzbarkeit von Dachflächen erheblich.

Auch die Privilegierung von Wärmepumpen, die nun auch in den Abstandsflächen zum Nachbarn aufgestellt werden dürfen, fördert die Ökologisierung des Bauens.

„Wir hätten uns für mehr Klimaschutz beim Bauen noch etwas mehr gewünscht. So haben wir vorgeschlagen, für jedes Bauvorhaben eine Ökobilanz verpflichtend zu machen“, erläutert Uhing. Durch die Einbeziehung der „grauen Energie“, die in bestehenden Gebäuden gespeichert ist, hätten Bauherren endlich die Chance erhalten können, echte Nachhaltigkeit zu beauftragen. Heute seien viele Gebäude durch die ausschließliche Bewertung des Betriebsenergiebedarfs nur scheinbar klimafreundlich. „Es wäre doch viel innovativer, nicht allein den CO2-Ausstoß zu bewerten, der im Betrieb eines Gebäudes entsteht, sondern auch denjenigen, der durch die Konstruktion eines Bauwerks verursacht wird“, so Präsident Ernst Uhing. Die Lösungen seien dann technologieoffen und vor allem ehrlich.

Nach wie vor interessiere man sich beispielsweise zu wenig dafür, mit welchem Aufwand Wärmeverbundsysteme produziert und in einigen Jahrzehnten entsorgt werden müssen. „Klimaneutrales Bauen darf nicht mehr verhandelbar sein, ähnlich wie der Brandschutz oder die Standsicherheit“, fordert der Präsident der Architektenkammer.

Beschleunigung und Dämpfung der Baukosten

Als Beitrag zu schnelleren Genehmigungsverfahren wird mit der neuen Bauordnung der Prüfaufwand reduziert. So prüft die Bauordnungsbehörde zukünftig im sogenannten vereinfachten Genehmigungsverfahren viele Kernbestandteile des Bauordnungsrechtes nicht mehr. Es entfällt die Prüfung für vieles, was zum baukulturellen Anspruch von Städten und Gemeinden gehört: beispielsweise die Gestaltung von Freiräumen, Werbeanlagen und Parkplätzen.

Das Instrument der Genehmigungsfreistellung wird für Wohngebäude auf die Gebäudeklasse 4 erweitert. Das bedeutet, dass in Gebieten mit Bebauungsplänen bis knapp unter die Hochhausgrenze ohne Baugenehmigung gebaut werden darf.

Besonders freigiebig wird zukünftig in NRW der Bau von Antennen und Sendeanlagen behandelt. Sendemasten können ohne Höhenbegrenzung verfahrensfrei errichtet werden. „Das Stadt- und Landschaftsbild wird sich massiv verändern“, prognostiziert Kammerpräsident Uhing. „Sendemasten und Windenergieanlagen, die nun näher an eine Wohnbebauung heranrücken dürfen, werden neben erdgebundenen Solaranlagen unsere Freiräume prägen.“ Baukulturell sei das eine Herausforderung – und setze auf die Planungshoheit der Städte und Gemeinden.

Bauvorlagerecht und Verantwortung

„Wer derart tief in gewohnte Prozesse und Schutzmechanismen eingreift, ist bereit zum Risiko“, meint die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen. Es werde sich zeigen, ob es sinnvoll ist, anstelle der Genehmigung einer Planung zukünftig fertiggestellte Bauwerke zu kontrollieren. „Die Behörden werden durch die neue Bauordnung nun stärker repressiv tätig werden müssen. Die Anforderungen an das Gebäude bleiben schließlich unverändert und müssten trotzdem eingehalten werden“, stellt Kammerpräsident Uhing klar. Die neue Landesbauordnung übertrage damit mehr Verantwortung des Bauvorlageberechtigten, d.h. auf Architektinnen und Architekten sowie Bauingenieur*innen. Die Baugenehmigung sei eine Unbedenklichkeitsbescheinigung nach dem Vieraugenprinzip, an der sowohl Behörden als auch die Bauherrschaft interessiert seien.

Dass Bauvorlagen zukünftig für kleine Maßnahmen auch von Handwerksmeistern erstellt und eingereicht werden dürfen, passe allerdings nicht zu diesem Zuwachs an Verantwortung. „Dennoch erkennen wir die Bemühungen, durch Qualifizierungs- und Versicherungspflichten Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Auch die Pflicht zur Listung in einem Verzeichnis ist eine wichtige, vertrauensbildende Maßnahme“, stellt Ernst Uhing fest.

Die Architektinnen und Architekten in Nordrhein-Westfalen seien nun doppelt herausgefordert, so die Architektenkammer: „Als Antragsteller auf der einen und Genehmigungsbehörde auf der anderen Seite des Tisches müssen sie sich auf umfassende Änderungen einstellen“, betont Ernst Uhing. Die Kammer werde umfassende Fortbildungen anbieten.

Für den Gesetzgeber gelte es nun weiterzumachen. Die Baukostenkrise lasse sich nicht allein durch beschleunigte Verfahren bewältigen, unterstreicht die Architektenkammer NRW. Notwendig sei eine Debatte über Baustandards. „Die Architektenkammer NRW bietet sich an, den Abbau von Anforderungen an das Bauen zu befördern“, betont Kammerpräsident Ernst Uhing. „Dem entsprechenden Aufruf von Bauministerin Ina Scharrenbach folgen wir gerne. Vorschläge dazu haben wir!“

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