Laut Bericht der Fachkräfte zeigt sich auch im Berichtsjahr 2022, dass die Nachfrage an Beratung im Bereich jeglicher Form von Gewalt an Kindern und Jugendlichen weiter angestiegen ist.
Auswirkungen der Pandemie
Das Jahr 2022 war aus Sicht von den beiden hauptamtlichen Fachkräften der Beratungsstellen, Antje Maaß-Quast und Marina Beer, erneut von hohen Fallzahlen geprägt, ein erneuter Anstieg zum Coronajahr 2021 ist zu verzeichnen. „2022 hat uns mit unserer Clearingaufgabe noch mehr gefordert, es waren erneut gestiegene Meldungen zu verzeichnen“, so die langjährige Mitarbeiterin der Ärztlichen Beratungsstelle an der DRK-Kinderklinik Siegen, Antje Maaß-Quast, bei der Jahreshauptversammlung Anfang Mai 2023. Die Gründe für den Anstieg sind vielfältig, die Pandemie hat sicherlich ebenfalls dazu beigetragen, dass in den Familien Konflikte und Belastungen zunahmen. Marina Beer, ebenfalls Therapeutin im Team der Beratungsstelle, ergänzt: „Wenn Eltern an ihre Grenzen kommen, die elterliche Hilflosigkeit und die Auffälligkeiten des Kindes häufig aufeinandertreffen, dann nimmt auch die körperliche und / oder seelische Gewalt zu, was nicht selten eskaliert bis hin zu schwerwiegenden Verletzungen.“
Mit 262 gemeldeten Familien im Jahr 2022 ist die Fallzahl gegenüber 2021 (252 in 2021) zwar nur noch geringfügig gestiegen. Darüber hinaus haben 54 professionelle Helfer das Angebot der kollegialen Beratung in Anspruch genommen. Zusammen ergibt dies 309 Fallberatungen in 2022. „Ein umfassendes Netzwerk und eine intensive Zusammenarbeit zwischen der ÄB und den weiteren Hilfseinrichtungen ist die wichtige Basis für den Erfolg der Beratungsstelle“, so erklärt sich Klinikgeschäftsführer Carsten Jochum die professionelle Bearbeitung solch schwieriger Problemfälle in hoher Zahl und kurzer Frist. „Dies ist nur möglich dank guter und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Einrichtungen der Kinderbetreuung, Schulen, familienentlastender Dienste, Jugendämter, der Kriminalpolizei des Kreises sowie der Kinderschutzgruppe der DRK-Kinderklinik“, betonen die Fachkräfte der Beratungsstelle.
Familien mit Beratungsbedarf kamen überwiegend aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein 41% (2021: 36%) und der Stadt Siegen 29% der Fälle (2021: 35%). Der Anteil der Fallmeldungen aus dem Kreis Olpe ist im Jahr 2022 mit 17% gestiegen (12% in 2021). Die registrierten Meldungen aus Rheinland-Pfalz liegen bei 7% (Vorjahr 10). 22% der Meldungen kamen aus dem benachbarten Hessen.
Im Jahr 2022 bezogen sich 137 Beratungsanfragen auf Mädchen und junge Frauen, 125 Anmeldungen auf Jungen (2021: 143/109). Der Anteil der Beratung von Mädchen und Frauen an den gesamten Beratungsfällen beträgt damit 52% (2022: 57%).
Beratungsanfragen für Jungen haben 2022 zugenommen. Größere Unterschiede der Meldezahlen nach Geschlechtern zeigen sich 12 Jahre plus. Hier liegt die Fallzahl der Mädchen deutlich über der Zahl der gemeldeten Jungen.
Gründe einer Anmeldung waren auch 2022 vielfältig. Der Anteil der Misshandlungssyndrome (sexueller Missbrauch, Kindesmisshandlung, Vernachlässigung) lag für die Gesamtgruppe bei 96,5% (2021: 92%) und machte damit den weitaus größten Teil der Anmeldungen aus. Bei 25% der Anmeldungen (2021: 25%) wurde häusliche Gewalt bzw. emotionale Misshandlung als einer der Anmeldegründe genannt. Vernachlässigung wurde insgesamt in 15% der Fälle genannt (2021: 21%) und ist im Vergleich zum Vorjahr somit leicht gesunken. Der Beratungsbedarf für sexuell übergriffige Kinder/Jugendliche war in 15 Fällen der Anmeldegrund (2021: 15) und ist somit gleichgeblieben. Bei den Mädchen stand wie im Vorjahr mit Abstand (52%, 71 Nennungen) der Verdacht auf sexuelle Misshandlung an erster Stelle. Bei den Jungen ging es in diesem Jahr bei den Anmeldungen vorwiegend um den Bereich der körperlichen Misshandlung (53%, 66 Nennungen), gefolgt von dem Verdacht auf emotionale Misshandlung (44%, 55 Nennungen), damit deutlich geringer im Vergleich zum Vorjahr (56%). Der Verdacht auf sexuellen Missbrauch wurde bei den Jungen in fast jedem vierten Fall (23,2%) genannt. 11 Meldungen gab es bei den Jungen im Bereich der Abklärung sexueller Übergriffe/Misshandler (9 in 2021), dazu 4 Mädchen.
Antje Maaß-Quast appelliert an die Öffentlichkeit, „Eine „Kultur des Hinsehens“ in diesen schwierigen Zeiten zu fördern und die Handlungsfähigkeit aller Beteiligten durch Fortbildung und Aufklärung zu stützen.“ Dafür wurden trotz Pandemie Schulungen mit dem Titel: „Erkennen und Vorgehen bei Vernachlässigung, Misshandlung und sexuellem Missbrauch bei Kindern und Jugendlichen“ in Zusammenarbeit mit der Kinderschutzgruppe der DRK-Kinderklinik Siegen angeboten. Die Fortbildungen wurden gut angenommen. Aufgrund der hohen Nachfrage soll diese Fortbildung auch zukünftig weiterhin zweimal jährlich angeboten werden.
Netzwerkarbeit und Arbeitskreise
„Wir müssen die interne und die externe Vernetzung aufrechterhalten und nun nach der Pandemie wieder intensivieren. Ein enger Austausch ist ebenso unabdingbar wie eine multiprofessionelle Zusammenarbeit in konkreten Fällen“, ergänzt Marina Beer. Die ÄB arbeite daher eng mit dem interdisziplinären Team der Kinderschutzgruppe (KSG) der DRK-Kinderklinik zusammen. Neben der Zusammenarbeit in Akutfällen trifft sich das Team regelmäßig zum Austausch. Durch die Zusammenarbeit der KSG und der ÄB gelingt eine vollständige Begleitung der betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern.
Die notwendige Vernetzung mit den niedergelassenen Kinderärzt:innen und den niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiater:innen hat sich gefestigt und weiterentwickelt. Kontinuierliche Gespräche und der fachliche Austausch wurden fortgeführt.
Da der stellvertretende Vorsitzende des Vorstandes der ÄB, Dipl.-Psychologe Reinhard Semmerling sich nach über 30 Jahren ein wenig bei der Vereinsarbeit zurücknehmen möchte und auch Ingrid Freter die Arbeit im Vorstand aus Altersgründen beenden möchte, war die Wahl eines neuen Vorstandsgremiums notwendig. Die Anwesenden dankten den beiden engagierten Mitstreitern für die gute Sache ausdrücklich für das jahrzehntelange persönliche Engagement.
Neu in den Vorstand gewählt wurden Andy Trägner, Dipl. Psychologe, tätig in der Regionalen Schulberatungsstelle des Kreises und Frau Susanne Otto, Kriminalhauptkommissarin, Leiterin des Kommissariats Opferschutz/Prävention bei der Kripo Siegen.
Kontakt:
Antje Maaß-Quast
Systemische Supervisorin und
Kinder- und Jugendlichentherapeutin (SG)
Telefon: 02 71 / 23 45-240
Marina Beer
B.A. Soziale Arbeit
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