Tiefe Hirnstimulation bei Zwangsstörungen: Ärzt*innen fordern besseren Zugang für Patient*innen

Geschätzt bis zu 300.000 Menschen in Deutschland leiden unter einer Zwangsstörung, die sich nicht mit Verhaltenstherapien oder Medikamenten behandeln lässt. Für einzelne dieser schwerst behandlungsresistenten Personen könnte eine Tiefe Hirnstimulation eine wirksame Therapie werden. Doch bislang finden nur wenige dieser Menschen den Weg bis zur Operation. Experten des Universitätsklinikums Freiburg haben am 15. Juli 2022 gemeinsam mit weiteren internationalen Expert*innen einen Artikel im Fachmagazin Nature veröffentlicht, in dem sie einen besseren Zugang für Betroffene zu dieser Therapieform fordern und Vorschläge machen, wie dies gelingen könnte.

„Die Tiefe Hirnstimulation kann bei psychischen Erkrankungen sehr wirksam sein. Anders als bei der Parkinson-Erkrankung, wo diese Behandlungsform inzwischen zum Standard der Behandlung bei fortgeschrittener Erkrankung gehört, ist die Tiefe Hirnstimulation bei der Zwangserkrankung den meisten Kolleg*innen weitestgehend unbekannt. Dies gilt vor Allem für die Psychiater*innen und Psycholog*innen, die in Unkenntnis der Chancen und Ergebnisse einer solchen Therapie oft ablehnend gegenüber stehen“, sagt Prof. Dr. Volker A. Coenen, Ärztlicher Leiter der Abteilung Stereotaktische und Funktionelle Neurochirurgie der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg. Er war gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr. Thomas Schläpfer, Leiter der Abteilung für Interventionelle Biologische Psychiatrie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg, an dem Nature-Artikel beteiligt.

Gründe für die mangelnde Akzeptanz und Lösungen

Die Autor*innen des Artikels diskutieren die Hauptgründe für diese mangelnden Akzeptanz: Historische Bedenken im Zusammenhang mit überholten psychochirugischen Verfahren, Skepsis aufgrund vermeintlich geringer wissenschaftlicher Evidenz, mangelnde Wahrnehmung unter Psychiater*innen und Psycholg*innen, Mangel an entsprechend qualifiziertem Personal für die Betreuung der Patient*innen, Einschränkungen in der Medizinprodukte-Zulassung, mangelhafte Kostenübernahme oder intransparente Entscheidungen durch Versicherungen, ungleiche Partnerschaften zwischen Industrie und Wissenschaft. „Für all diese Schwierigkeiten gibt es gute Lösungsvorschläge, die wir im Sinne der Patient*innen dringend angehen sollten“, sagt Schläpfer.

„Eine spezialisierte Versorgung dieser Patient*innen gelingt, wenn sowohl Fachleute für die psychotherapeutische und medikamentöse Behandlung involviert sind wie auch ein spezialisiertes Team für Tiefe Hirnstimulation. Damit haben wir in Freiburg sehr gute Erfahrungen gemacht“, sagt Prof. Dr. Dr. Katharina Domschke, Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg. Sie ist Mitherausgeberin einer internationalen Leitlinie für die Behandlung der Zwangserkrankung, die auch die Tiefe Hirnstimulation mit einbezieht.

Kleine Studie mit ermutigenden Ergebnissen

Im Mai 2022 hatten Schläpfer, Domschke und Coenen im Magazin Brain Stimulation eine Studie zur Therapie von Zwangsstörungen mit der Tiefen Hirnstimulation veröffentlicht. Die neun Patient*innen litten im Schnitt 23 Jahre unter der Krankheit und andere Therapien waren erfolglos. Bei sieben Patient*innen wirkte die Therapie auch ein Jahr nach dem Eingriff noch deutlich.

Verfahren ist seit Jahrzehnten bewährt

Die Tiefe Hirnstimulation wird seit Jahrzehnten erfolgreich zur Behandlung von Parkinson-Patient*innen eingesetzt. Auch bei Depressionen können zum Teil sehr gute Erfolge erzielt werden. Bei der Tiefen Hirnstimulation werden haarfeine Elektroden in einen bestimmten Bereich des Gehirns geschoben. Über ein dünnes Kabel sind sie mit einer Batterie im Brustraum verbunden. Durch regelmäßige schwache elektrische Impulse können krankhafte Aktivitäten der Hirnregion reduziert und in einen normalen Zustand gebracht werden.

Nature-Publikation
Titel:
Deep brain stimulation for obsessive-compulsive disorder: a crisis of access
DOI: 10.1038/s41591-022-01879-z
Link zur Studie: www.nature.com/articles/s41591-022-01879-z

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