Raus aus der Zweitverdienerinnenfalle: Reform des Ehegattensplittings und der Minijobs brächte mehr als 100.000 Jobs für Frauen

Frauen und insbesondere Mütter werden durch die Kombination aus Ehegattensplitting und steuer- und abgabenfreien 450-Euro-Jobs auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Für sie lohnt sich häufig die Aufnahme einer substanziellen Beschäftigung kaum. Damit (Mehr-)Arbeit in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung für Zweitverdienerinnen attraktiver wird, plädiert die Bertelsmann Stiftung für eine Kombireform von Ehegattensplitting und Minijob.

Von 7,6 Millionen Ehefrauen im Alter von 25 bis 60 Jahren haben mit 6 Millionen rund drei Viertel ein geringeres Einkommen als ihr Partner und sind demnach Zweitverdienerinnen. Für sie setzt das Steuer- und Sozialversicherungssystem in Deutschland falsche Anreize. Sie leiden darunter, dass – anders als bei einem Minijob – bei der Aufnahme einer Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung nicht nur Sozialversicherungsabgaben, sondern auch Einkommensteuer anfällt, die über dem üblichen Eingangssteuersatz in Höhe von 14 Prozent liegt. Grund dafür ist das Ehegattensplitting, das dazu führt, dass eine Zweitverdienerin demselben Steuersatz unterliegt wie der Erstverdiener.

Eine Kombireform könnte die Fehlanreize des Ehegattensplittings begrenzen und Minijobs in sozialversicherungs- und steuerpflichtige Beschäftigung umwandeln. Denn diese, so zeigen Berechnungen von Andreas Peichl, Maximilian Blömer und Przemyslaw Brandt vom ifo Institut im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, hätte im Vergleich zu einzelnen isolierten Reformen besonders große Beschäftigungseffekte für Frauen.

Kombireform bringt mehr als 100.000 Frauen in gute Beschäftigung

Die Untersuchung zeigt, dass die Umwandlung des jetzigen Ehegattensplittings in ein Realsplitting und der Minijobs in sozialversicherungs- und steuerpflichtige Beschäftigung 124.000 Menschen in Arbeit bringen könnte, davon 108.000 Frauen. Die jeweils isolierte Einführung des Realsplittings und der Reform der Minijobs brächte dagegen weniger Frauen in Arbeit. Beim Realsplitting würden beide Eheleute separat veranlagt, allerdings dürfte ein begrenzter Betrag in Höhe von 13.805 Euro, der die Unterhaltspflichten widerspiegelt und damit verfassungskonform wäre, auf die Partnerin übertragen werden. Dadurch ließe sich die Steuerlast für die Zweitverdienerin abbauen, sodass sich die Aufnahme einer Beschäftigung oder die Erhöhung der Arbeitszeit für sie insgesamt eher lohnen würde.

Gleichzeitig würde auch der Steuervorteil durch das Splitting für besonders hohe Einkommen begrenzt, von dem insbesondere Paare profitieren, bei denen eine einzige Person – in der Regel der Mann – den Großteil des Einkommens erzielt. „Arbeit muss sich für alle lohnen, insbesondere für Frauen und Mütter“, sagt Manuela Barišić, Arbeitsmarktexpertin der Bertelsmann Stiftung. „Nur eine kombinierte Reform hilft, die sich gegenseitig verstärkenden negativen Effekte von Ehegattensplitting und Minijob-Regelung zu beheben.“

Zur Zweitverdienerinnenfalle trägt neben dem Ehegattensplitting auch der steuer- und abgabenfreie Minijob bei. Durch sukzessiv ansteigende Sozialversicherungsabgaben könnten Minijobs in reguläre Beschäftigung umgewandelt werden: Die Abgaben würden ab dem ersten Euro fällig, allerdings mit einem anfangs sehr geringen Beitragssatz. Der volle Sozialversicherungssatz würde dagegen bei 1.800 Euro – was einer Vollzeitbeschäftigung im Niedriglohnbereich entspricht – zu Buche schlagen. Eine solche Kombireform wäre nahezu aufkommensneutral, d. h. sie würde keine zusätzlichen Kosten für den Staat verursachen. Auch die Verteilungswirkungen wären erheblich: Insgesamt würden die unteren 40 Prozent der Einkommen entlastet werden.

Kombireform zur Abschaffung von Fehlanreizen ist nötig und möglich

Für viele Zweitverdienerinnen lohnt sich heute Arbeit über den Minijob hinaus kaum. Ein Beispiel: Verdient der Mann 48.000 Euro brutto im Jahr, würde die Ehefrau bei einem Stundenlohn von 10 Euro und einem Minijob mit ca. 10 Wochenstunden 5.400 Euro im Jahr hinzuverdienen. Wählt sie stattdessen einen Teilzeitjob mit 20 Wochenstunden, bei gleichem Bruttostundenlohn, blieben der Familie rund 1.000 Euro mehr.

Die Folge: Viele Zweitverdienerinnen entscheiden sich häufig für einen Minijob, der sich insbesondere in der Corona-Pandemie als besonders krisenanfällig erwiesen hat. Dies hat weitreichende Folgen für die Absicherung der Frauen – sowohl bei Arbeitslosigkeit als auch im Alter. „Es muss uns gelingen, Frauen und Mütter aus der Zweitverdienerinnenfalle zu befreien“, sagt Barišić. „Ein erheblicher Teil des Arbeitskräftepotenzials von Frauen wird aktuell nicht voll ausgeschöpft. Im Zuge des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels kann Deutschland sich dies nicht mehr leisten. Eine kombinierte Reform könnte auch helfen, Geschlechterunterschiede auf dem Arbeitsmarkt zu reduzieren.“

Zusatzinformationen
In der Studie „Raus aus der Zweitverdienerinnenfalle. Reformvorschläge zum Abbau von Fehlanreizen im deutschen Steuer- und Sozialversicherungssystem“ berechnen Andreas Peichl, Maximilian Blömer und Przemyslaw Brandt vom ifo Institut im Auftrag der Bertelsmann Stiftung die volkswirtschaftlichen Effekte von Reformen, die das Ehegattensplitting sowie die Abschaffung der Mini- und Midijob-Regelungen adressieren. Unter Verwendung eines strukturellen Arbeitsangebotsmodells simulieren sie die Effekte einer Einführung der Individualbesteuerung, des Realsplittings mit Übertragsbeträgen von 13.805 Euro und 9.744 Euro sowie des vom Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Finanzen vorgeschlagenen Ehezusatzfreibetrags. Mit Blick auf die Abschaffung des Sonderstatus des Minijobs simulieren sie zum einen die volle Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro und zum anderen ansteigende Sozialversicherungsabgaben (Phase-in) von 0 bis 1.300 Euro und von 0 bis 1.800 Euro. Darüber hinaus berechnen sie die Effekte kombinierter Reformen des Ehegattensplittings und der Minijobs.

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