Wiederbewaldung im Eckertal erhält Bodenfruchtbarkeit und schützt Trinkwasser

Besser ein marodes Dach über dem Kopf als gar kein Dach – nach dieser Devise gehen die Niedersächsischen Landesforsten neue Wege bei der Wiederbewaldung zerstörter Fichtenwälder. Erstmalig in der Geschichte der Landesforsten pflanzen Fortleute junge Buchen unter sogenannte Fichten in der Zerfallsphase. Das sind Wälder, in denen auf hunderten Hektar kein lebendiger alter Baum mehr wächst. Jahrzehntelang dienten die benadelten Kronen intakter Fichten als Schutzschild, wenn Forstleute junge Laubbäume in die gleichförmigen Nadelwälder einpflanzten. Doch diese vor 30 Jahren erfolgreich begonnene Mischwald-Mehrung funktioniert vielerorts nicht mehr. Wo keine lebenden Fichten mehr Schutz vor Sonnenbrand und Winterfrost bieten, müssen jetzt abgestorbene Bäume diese Aufgabe erfüllen – so im Einzugsgebiet der Radau nahe der Eckertalsperre bei Bad Harzburg oder am Eschenberg bei Bad Lauterberg. Hier und an vielen anderen Standorten passen die Landesforsten ihre Strategie zur Walderneuerung an die Herausforderungen des Klimawandels an.

Rund 200 Hektar groß schätzt Ralf Krüger das Areal, in dem Borkenkäfer die siebzig Jahre alten Fichtenwälder zwischen der Eckertalsperre und der B4 zerstört haben. „Derzeit pflanzen wir hier auf den großen Freiflächen Baumarten, die mit dem Klimawandel besser zurechtkommen. Roteichen, Berg- und Spitzahorn, Lärchen, Tannen und Douglasien sind unsere Favoriten. Auch einzelne Kirschen sind darunter, die auf den besseren Böden gedeihen können. Und die neuartige Bepflanzung unter abgestorbenen Fichten testen wir seit vergangenem Herbst“, berichtet Ralf Krüger. „Ab Oktober pflanzen wir in den Harz-Forstämtern kleine Buchen auch unter Trocken-Fichten. Ihren ersten strengen Winter unter einem maroden Dach haben die zarten Buchen hinter sich, nun warten wir gespannt auf den Blattaustrieb im Mai um zu sehen, wie viele den Frost überlebt haben“, fragt sich der Leiter des Forstamts Clausthal und blickt gespannt auf die beginnende warme Jahreszeit.

Abgestorbene Fichten sind nicht lange standfest: Arbeiten unter toten Bäumen nur begrenzt möglich

Für das neuartige Experiment bleibt nicht viel Zeit: Abgestorbene Wälder zu betreten und unter den stehenden Baumleichen aufzuforsten ist gefährlich. Knapp ein Jahr lang gelten abgestorbene Fichte noch als standsicher, dann können die Bäume jederzeit in sich zusammenbrechen. „Wir brauchen in den Wäldern nahe der Eckertalsperre künftig mehr Buchen und andere Laubmischwälder. Die großen Kahlflächen forsten wir schnellstmöglich wieder auf und dazwischen erhalten wir aus ökologischen Gründen solche “Gespensterwälder“ mit stehendem Totholz. Diese Totholz-Parzellen schaffen Windruhe, werfen Schatten auf die Kulturflächen und spenden Frostschutz im Winter“. Begründet Ralf Krüger die Abkehr von der traditionellen Forstpraxis, solche Parzellen vollständig abzuräumen. Die neue Strategie diene letztlich dazu, die ökologischen Nachteile von Kahlschlägen zu verringern, die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten und langfristig die Trinkwasser-Qualität zu sichern, so der Clausthaler Forstamtsleiter.

Forstwirte aus Wolfenbüttel helfen bei den Pflanzarbeiten

Auch für Wilhelm Stabel aus dem Forstamt Wolfenbüttel ist diese Art der Walderneuerung ungewohnt. „Ein bisschen gespenstisch wirkt die Arbeit unter den braunen Fichten schon, wenn von oben die trockenen Nadeln rieseln und ein ganz anderes Licht durch die roten Kronen strahlt“, beschreibt der langjährige Forstwirtschaftsmeister das Gefühl. Seit fünf Wochen arbeitet Stabel gemeinsam mit acht Auszubildenden im Eckertal, um den Harzer Kollegen beim Wettlauf gegen die Zeit zu helfen. Die Pflanzflächen sind weit und der Anblick der abgestorbenen Fichtenwälder schier endlos. „Das ist auch für die angehende Forstwirte ein harter Brocken, denn aus den Revieren rund um Braunschweig kennen sie solche großflächigen Schäden nicht“, sagt Wilhelm Stabel. Bis über Ostern hinaus soll die diesjährige Pflanzsaison andauern, wenn das Wetter und die Temperatur mitspielen. „Was die jungen Leute hier lernen und was sie aufbaut ist das gute Gefühl, an einem neuen Wald mitzuarbeiten, der hoffentlich dem Klimawandel standhält und unseren Kindeskindern mehr Freude bereitet“, wünscht sich Stabel für die nachfolgenden Generationen.

Auf 5.000 Hektar lassen die Landesforsten abgestorbene Wälder stehen

Insgesamt wollen die Niedersächsischen Landesforsten auf rund 5.000 Hektar abgestorbene Wälder stehen lassen. Das Forstamt Clausthal hat bereits 30 Hektar seiner zerfallenden Fichten-Wälder mit Buchen bepflanzt. Rund 150.000 junge Buchen setzten Forstwirte am Fuß abgestorbener Fichten. Die Landesforsten bilanzieren insgesamt 15.000 Hektar Schadflächen in ihren Landeswäldern, die neu bewaldet werden müssen. „Wenn wieder eine Borkenkäfer-Massenvermehrung kommt, sind die verbliebenen grünen Fichtenwälder im Eckertal im Sommer auch braun“, befürchtet Ralf Krüger. Wie alle Harzer Forstleute hofft Krüger deshalb auf einen regenreichen und kühlen Sommer. „Dann steigen die Chancen, dass unsere gepflanzten Mischwälder gut anwachsen und die Borkenkäfer Schnupfen bekommen“, wünscht sich der Oberharzer Forstmann. Jetzt hat Krüger noch einmal 23.000 junge Buchen nachbestellt. Rund um Bad Harzburg sollen sie für neues Mai-Grün sorgen, genauso wie die Laubbäume am Eschenberg bei St.Andreasberg. Dort erneuert das Forstamt Lauterberg aktuell seine braunen Fichtenwälder mit Buchen, Bergahorn, Weißtannen und Douglasien. „Die Bucheckern-Ernte in einem großen Buchenwald bei Wieda vergangenen Herbst sorgt für Nachschub in zwei Jahren. Wir nehmen am liebsten Buchen-Sämlinge aus eigener Ernte, um abgestorbene Fichtenwälder neu zu beleben“, sagt Dr. Hendrik Rumpf. Der Betriebsdezernent im Forstamt Lauterberg ist froh über die zuletzt gute Ernte im Saatgutwald bei Wieda. „In zwei Jahren sind diese Pflänzchen Gold wert“, weiß Dr. Rumpf in Zeiten knappen Saatgutes.

Hintergrund

Der Eckerstausee liegt im Zentralbereich des Harzes, sein Quellgebiet im Bereich des Brocken. Am stärksten wird der Stausee durch die Schneeschmelze gefüllt, die häufig bis in den Mai andauert. Das Wasser fließt dem Stausee nicht nur aus dem natürlichen Einzugsgebiet der Ecker zu, sondern auch aus dem westlich der Eckertalsperre gelegenen Fuhler Lohnbach wird Wasser über eine Rohrleitung in den Stausee geleitet. Aus der Eckertalsperre werden im Verbund mit der Granetalsperre Städte und Gemeinden im Raum Goslar, Wolfenbüttel, Braunschweig und Wolfsburg mit qualitativ hochwertigem, von Natur aus weichem Trinkwasser versorgt. Das Wasser fließt durch eine 77,60 km lange Wassertransportleitung bis nach Wolfsburg. Der Höhenunterschied von 384 m reicht i. d. R. aus, um das Wasser im freien Gefälle vom Harz bis nach Wolfsburg zu leiten

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