Größte Konferenz über kontaminierte Luft in Flugzeugen: Zapfluftfilter und -sensoren müssen dringend in Passagierflugzeugen installiert werden

Die größte Konferenz, die jemals über kontaminierte Luft in Flugzeugen abgehalten wurde, ist nach vier Tagen zu Ende gegangen. Die Teilnehmer der Konferenz kommen zu dem Schluss, dass wirksame Zapfluftfilter und -sensoren in großen Passagierjets dringend installiert werden müssen. Das ergab eine abschließende Umfrage. Ausrichter war ein Verband aus Luftfahrtgewerkschaften, die Global Cabin Air Quality Executive (GCAQE), mit Sitz in London. Assoziierter Partner war die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg).

Die "Aircraft Cabin Air Conference 2021" fand vom 15. bis 18. März 2021 täglich von 16:00 bis 21:00 Uhr online über Zoom statt.

Auf der Konferenz sprachen über 30 Vortragende von der International Air Transport Association (IATA), Ingenieure, Mediziner, Flugunfallermittler, Anwälte, Vertreter der Crews aus dem Cockpit und der Kabine sowie Unternehmen, die Lösungen zur Minderung der Kontamination der Luft anbieten, wie Pall Aerospace, BASF und PTI Technologies.

Der erste Fachvortrag wurde gehalten von Prof. Dr. Dieter Scholz, Aircraft Design and Systems Group (AERO) der HAW Hamburg. In seinem Vortrag wies er darauf hin, dass kontaminierte Kabinenluft leider regelmäßig auftritt und sowohl die Flugsicherheit als auch die Gesundheit von Personen an Bord gefährden kann. Sensoren zur Überprüfung der Kabinenluft werden zwar nach der Zulassungsvorschrift CS-25.1309 (c) gefordert, aber nicht in die Flugzeuge eingebaut. Die Untersuchungen von Prof. Scholz an ausgemusterten Flugzeugen zeigten eindeutig die Ablagerungen in den Rohren der Zapfluft über den gesamten Weg vom Triebwerk bis in die Flugzeugkabine und selbst in das Trinkwasser an Bord. Diese Ablagerungen stammen aus den Verunreinigungen, die die Luft aus dem Triebwerk mitführt. Verantwortlich ist einerseits das Triebwerksöl, das im Triebwerk die Dichtungen passiert und so in den Triebwerksverdichter und die Zapfluft gelangt. Verantwortlich sind aber auch Hydraulik- und Enteisungsflüssigkeiten, die über das Hilfstriebwerk (die APU) am Heck des Flugzeugs in die Rohre der Klimaanlage und somit in Kabine und Cockpit gelangen können. Die Gegenüberstellung von verschmutzten Rohren, die Zapfluft (bleed air) führen mit sauberen Rohren, die Frischluft (z.B. fan air) führen, überzeugte die Teilnehmer. Es entspricht einem Naturgesetz (Entropie), dass sich Stoffe verteilen. Es ist daher praktisch unmöglich, toxische Stoffe vollständig in einem geschlossenen System zu halten. Das bestätigt sich auch hier im Fall des Flugzeugs.

Fast 1600 Delegierte hatten sich für die Veranstaltung angemeldet. Sie meldeten sich über Zoom von 6 Kontinenten aus an. Folgende Organisationen hatten Mitarbeiter angemeldet: die US Federal Aviation Administration (FAA), nationale Luftfahrtbehörden, das US-Militär, Airbus, Boeing, Embraer, Flugzeugzulieferer, Flugzeugleasingunternehmen und Gewerkschaften. Angemeldet hatten sich Rechtsanwälte, Wissenschaftler und Crews von über 50 Fluggesellschaften.

Ein Film über ultrafeine Partikel (UFPs) in der Flugzeugkabine, der auf der Konferenz präsentiert wurde, zeigte ein Muster deutlich erhöhter UFPs bei Änderungen vom Triebwerksschub und bei Änderungen der Konfiguration der Flugzeugklimaanlage. Es wurde berichtet, dass die Werte 25-mal höher waren als in einem Haushalt. Der Film kann unter folgender Adresse aufgerufen werden:  https://vimeo.com/520013750.

Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) hatte zuvor Folgendes festgestellt: "Die Luftqualität in der Kabine / im Cockpit ist ähnlich oder besser als in normalen Innenräumen (Büros, Schulen, Kindergärten oder Wohnungen)". Die Gültigkeit der EASA-Sichtweise wurde durch die vielen auf der Konferenz vorgetragenen gegenteiligen Forschungsergebnisse infrage gestellt. "Ein Umdenken in der Behörde ist dringend erforderlich", sagte Dr. Susan Michaelis, GCAQE Head of Research.

Die "Aircraft Cabin Air Conference 2021" ist der Nachfolger der am Imperial College London in den Jahren 2017 und 2019 abgehaltenen Konferenzen zum gleichen Thema. Die Ergebnisse der Konferenzen aus 2017 und 2019 wurden unterdessen umfangreich im Internet dargestellt, verbreitet und archiviert. Als zentraler Ablageort wurde der EU-Server Zenodo gewählt:  https://zenodo.org/communities/aircraftcabinair. Die Darstellung der Ergebnisse aus 2021 steht noch aus. Die HAW Hamburg wird sich bei der Aufarbeitung der Ergebnisse wieder maßgeblich einbringen. "Wir wollen über die Konferenzen hinaus eine dauerhafte Botschaft aussenden", sagte Prof. Dr. Scholz.

Konferenzdirektor Kapitän Tristan Loraine erklärte: "Die EASA hat leider entschieden, an der Konferenz nicht teilzunehmen. Trotzdem hoffe ich, dass sie die Ergebnisse der Konferenz aufnehmen wird. Es wäre für die EASA und die FAA an der Zeit, Maßnahmen zu ergreifen, um die Besatzungen und die Passagiere vor kontaminierter Kabinenluft zu schützen und die Flugsicherheit dadurch weiter zu verbessern. Es ist nicht genug, sich darauf auszuruhen, dass die Luftfahrt statistisch gesehen die sicherste Form des Reisens ist. Die Technologie für Sensoren und Filter ist vorhanden, und die Flugunfallabteilungen fordern deren Einbau seit über 10 Jahren. Entsprechend muss jetzt gehandelt werden."

Hinweise für Redakteure:

  • Die Kabinenluft aller Flugzeuge außer der Boeing 787 wird direkt aus dem Verdichter der Triebwerke (vor der Brennkammer) entnommen. Diese Luft wird Zapfluft (bleed air) genannt und über die Klimaanlage des Flugzeugs ungefiltert in die Kabine geleitet.
  • Es ist bekannt, dass Zapfluft mit Triebwerksölen und/oder Hydraulikflüssigkeiten kontaminiert sein kann. Diese Flüssigkeiten enthalten giftige Organophosphate.
  • Kabinenluft- und Cockpitluftkontamination tritt seit den 1950er Jahren auf.
  • Kein Flugzeug, das derzeit fliegt, verfügt über ein Erkennungssystem, das warnt, wenn die Luft an Bord kontaminiert ist, obwohl dies vorgeschrieben ist.
  • Die Flugsicherheit wird durch Kabinenluft- und Cockpitluftkontamination beeinträchtigt, wenn Besatzungsmitglieder bei der Arbeit handlungsunfähig werden.
  • Besatzungen und Passagiere leiden teilweise unter den kurz- und langfristigen gesundheitlichen Folgen, wenn sie kontaminierter Luft an Bord ausgesetzt waren.
  • Ereignisse mit kontaminierter Luft sind nicht selten und werden bekanntermaßen nicht vollständig gemeldet.
  • Wenn Passagiere kontaminierter Kabinenluft ausgesetzt sind, dann werden sie niemals über die damit zusammenhängenden Risiken informiert.

Konferenz-Homepage: https://www.AircraftCabinAir.com

Konferenzergebnisse: https://zenodo.org/communities/aircraftcabinair

Pressemeldung der GCAQE vom 23.03.2021: https://bit.ly/3cmvPzE

Projekt an der HAW Hamburg zum Thema: http://CabinAir.ProfScholz.de

Über Aircraft Design and Systems Group (AERO)

Aircraft Design and Systems Group (AERO) ist die Forschungsgruppe für Flugzeugentwurf und Flugzeugsysteme im Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau der HAW Hamburg. AERO führt wissenschaftliche Mitarbeiter zur kooperativen Promotion und bearbeitet Projekte aus Forschung, Entwicklung und Lehre.

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