„Viel zu lange hat die Politik zugeschaut“

In Berlin hat die Zahl wohnungsloser junger Menschen deutlich zugenommen. Er erlebe in seiner Arbeit, dass immer mehr Jugendliche unter dem Mangel an Wohnraum in der Hauptstadt leiden und sie immer öfter in prekären Wohnverhältnissen landen, schreibt Michael Heinisch-Kirch, der Vorsitzende der Berliner SozDia-Stiftung „Gemeinsam Leben Gestalten“, in einem Beitrag für die neuste Ausgabe der Zeitschrift „Ansichtssache“, die über die vielfältige sozialdiakonische Arbeit der Stiftung informiert.

Zur Begründung verweist Heinisch-Kirch darauf, dass junge Leute nach ihrer Schulzeit „nicht die attraktivsten Mieter“ für die großen Wohn-Konzerne seien. Nicht selten landeten junge Leute mit Erreichen der Volljährigkeit „beim Freund auf der Couch“. Wenn das nicht mehr gehe, seien sie dann „schnell raus“ und damit obdachlos, so Heinisch-Kirch.

Diese Entwicklung betreffe aber nicht nur Einzelne, sondern zunehmend auch junge Familien, betont der Chef der Stiftung, die zahlreiche Jugendeinrichtungen, aber auch eine spezielle Wohnungs-Notfallhilfe betreibt. Als Ursache für diese Entwicklung verweist Heinisch-Kirch auf die Tatsache, dass immer mehr internationale Finanzdienstleister den Wohnraum als „stark gewinnbringende Geldanlage“ entdeckt hätten.

Zudem habe die Politik viel zu lange dabei zugeschaut, wie sich der Wohnungsmarkt von den Menschen und ihrem Recht auf Wohnraum abgekoppelt habe. Oft sei diese Entwicklung von ihr sogar durch vermeintliche Erfolge wie den Verkauf kommunaler Wohnungen begünstigt worden, schreibt Sozialdiakon Heinisch-Kirch. 1990 hatte er als Mitbegründer eines Vereins für sozialdiakonische Jugendarbeit für Schlagzeilen gesorgt, als er in der Lichtenberger Pfarrstraße mit rechten und linken Jugendlichen von ihnen besetzte Häuser saniert hat. Die daraus entstandene SozDia-Stiftung mit ihren mittlerweile rund 550 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterhält heute u.a. fast 50 Sozialeinrichtungen für Kinder-, Jugend -, Familien- und Gemeinwesenarbeit.      

Scharfe Kritik äußert Heinisch-Kirch zudem an dem auf Effizienz und Wachstum ausgerichteten Zusammenleben in Deutschland. Das passe mit der im Grundgesetz verankerten Unantastbarkeit der Würde aller „erkennbar schlecht zusammen“. Stattdessen erlebe er, wie sich die Gesellschaft mehr und mehr „entmischt“: In Arm und Reich oder in Bedürftige und Nichtbedürftige. Auch dem wolle die Stiftung entgegenwirken: Je vielfältiger eine Gesellschaft „zusammengewürfelt“ sei, um so mehr könne ein Leben in Würde gelingen, betont der Stiftungs-Chef.

Das gelte besonders auch beim Wohnen. Die Konzentration von Menschen, die sich in gleicher Lebenslage befinden, führe nach seiner Erfahrung zur Potenzierung ihrer Probleme, schreibt er. Als Beispiel dafür kritisiert Heinisch-Kirch die „eher abseits von sonstigen Wohngebieten“ vom Berliner Senats im Bezirk Treptow-Köpenick geplante Wohnanlage für 150 wohnungslose Jugendliche. Das sei nach seiner Erfahrung eine „Fehlsteuerung“, die nicht gut gehen könne, fügt der Stiftungsvorsitzende hinzu.  

Im Wortlaut:

Ein Leben in Würde für alle – ohne jede Ausnahme!

Die Mischung machts! Eine bunt gemischte Gesellschaft ist Kompass der SozDia

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das haben wir alle so schon gehört, so steht es im Grundgesetz und gilt für alle – ohne Ausnahme. Ich bin der festen Überzeugung: Würde wird nicht von Menschen an Andere verliehen. Denn sie wohnt jedem von Gott geschaffenen Lebewesen inne – mit Lebensbeginn. Seit Beginn des Lebens haben alle Lebewesen diese Würde: Menschen genauso wie Tiere und Pflanzen. Reden wir über Würde, sprechen wir von Menschenwürde ebenso wie von Tierschutz oder Klimaschutz.

Unser auf Effizienz, Wachstum, Wohlstand und Bequemlichkeit ausgerichtetes Zusammenleben passt mit einem würdevollen Leben für alle erkennbar schlecht zusammen. Wir sehen dies vor der Haustür, in allen Informations-Medien. Wie gut, dass sich heute zahlreiche Menschen unter dem Motto „Jetzt erst recht“ für ein würdevolles Leben für alle einsetzen. Der Sinn unserer SozDia-Stiftung ist es, hierzu einen Beitrag zu leisten. Sprechen will ich zu zwei Themen: Dem Wohnraum und dem Umgang mit Menschen auf der Flucht.

Von der Menschenwürde leitet sich ein Recht auf Wohnraum ab. Nicht nur in Berlin ist das ein geradezu heißes Thema. Grund dafür ist, dass die Systeme, die wir dafür haben, nicht wirklich geeignet sind, dass sich Menschen gleichberechtigt und in Würde ihren Wohnort und ihre Wohnung aussuchen können. Mit der Nachfrage steigen die Wohnkosten. In unseren Angeboten der Wohnungsnotfallhilfe erleben wir, dass der Wohnungsnotstand längst nicht mehr einzelne betrifft, auch viele Familien sind betroffen.

Unternehmen, die für sich und ihre Anleger mit Geld Geld verdienen – z. B. große Internationale „Finanzdienstleister“ – haben Wohnraum als relativ sichere Geldanlage entdeckt. Sie kommen dann schnell zur „stark gewinnbringenden“ Geldanlage. Der Wohnungsmarkt hat sich von den Menschen und ihrem Recht auf Wohnraum abgekoppelt. Viel zu lange hat die Politik zugeschaut oder die Entwicklung sogar für schnelle vermeintliche „Erfolge“ (z. B. Verkauf von Wohnungen) begünstigt. Die Versuche, hier gegenzusteuern, sind ehrenwert – aber viel zu spät und für die Menschen, die wir in unserer Arbeit treffen, kaum wirksam.

So erleben wir zum Beispiel in unserer Arbeit mit Jugendlichen, dass sie der Mangel an bezahlbarem Wohnraum hart trifft. Jugendliche, die bei uns in Betreuten Wohnformen groß werden, sind natürlich auch nach der Schule nicht die attraktivsten Mieter für große Wohn-Konzerne. Nicht selten landen sie in prekären Wohnverhältnissen – zum Beispiel beim besten Freund … auf der Couch. Und wenn das dann nicht mehr geht, sind sie schnell raus. Obdachlos.

Ihnen bietet die SozDia eine Chance. Sie können in unseren Einrichtungen wohnen, dort sogar einen „Wohnführerschein“ machen, lernen die Grundregeln von Mietvertrag, Hausordnung, Wohnungsbewerbung etc.. Eine eigene Wohnung ist damit natürlich noch lange nicht garantiert. Jede und jeder, der bei uns dann eine Wohnung auf dem Wohnungsmarkt findet, wird inzwischen sehr gefeiert!

Auch hier sind die Bemühungen des Senats erkennbar, führen aber zu deutlicher Fehlsteuerung: So schafft der Berliner Senat in einer eigenen Wohnanlage in Treptow-Köpenick zurzeit ca. 150 Wohnungen für solche Jugendlichen an einem Ort, eher abseits von sonstigen Wohngebieten. Konzentration von Menschen mit gleicher Lebenslage führt unserer Erfahrung nach zur Potenzierung von deren Problemen! Besonders beim Wohnen gilt doch: Die Mischung machts! Nicht die Konzentration Gleicher! Das kann nicht gut gehen.

Hier wie anderswo erlebe ich, dass sich unsere Gesellschaft mehr und mehr „entmischt“: in Arm und Reich, in drinnen und draußen, in Bedürftige und Nichtbedürftige. Mir macht das Angst, denn ich bin überzeugt: je vielfältiger eine Gesellschaft „zusammengewürfelt“ ist, desto besser kann Leben in Würde gelingen. Dies ist Kompass für die Arbeit der SozDia.

Darum schaffen wir Wohnprojekte, in denen unterschiedlichste Menschen zusammenleben: z.B. durch Mietshäuser, bei denen wir den Zuzug und damit die „Mischung“ systemisch mit eigenen Impulsen steuern können. Weitere Wohnanlagen sind in Vorbereitung.

Mein zweiter Impuls: Menschen mit Fluchterfahrungen würdevoll begegnen. Da denke ich etwa an Menschen auf der Flucht. Ihre Rettung vor dem Ertrinken im Mittelmeer ist exemplarisch zur Aufgabe von Kirche und Diakonie geworden, weil unsere Regierungen versagen. Ich bin froh, dass die Evangelische Kirche die Initiative für ein eigenes Rettungsschiff ergriffen hat. In dem Bündnis ist auch die SozDia dabei!

Ich hoffe sehr, dass Europa endlich aufwacht. Europa ist keine Festung gegen vermeintlich Fremde. Die Regelungen zur Anerkennung als „Flüchtling“ sind inzwischen absurd geworden. Flucht vor Krieg gilt als Asyl-Grund, Flucht wegen des Klima-Wandels oder Wirtschaftsflüchtlinge nicht. Aber ist jemand auf der Flucht, weil zwei Gruppen in einem Land voller Trockenheit um einen Brunnen streiten, welcher nur noch Wasser für eine Gruppe hat, gilt er als Klima-Flüchtling und wird zurückgeschickt. Sucht er den Ort mit Wasser in Europa, weil es um den Brunnen Krieg gab, erhält er Asyl. Und diese Entscheidungen übertragen wir den Verwaltungs-Mitarbeitern im Bundesamt für Migration und Flucht. Absurder geht’s kaum.

Wir in der SozDia betreiben inzwischen mehrere Einrichtungen, die sich direkt an Menschen mit Fluchterfahrungen wenden: Wohn- oder Gemeinweseneinrichtungen oder in all unseren Kitas, oder unsere Aufnahmestelle für unbegleitete junge Geflüchtete. Sie alle erleben bei uns Verlässlichkeit, gute Erfahrungen und Zugänge. Zurzeit betreuen wir auch alle Jugendlichen, die unbegleitet aus dem abgebrannten Flüchtlingslager von Moria aus Griechenland in Berlin aufgenommen wurden. Unser Motto: Würdevolles Leben konkret ermöglichen.

Wohnungslosigkeit oder Flucht oder die vielen anderen Themen – Für das Gespräch bleibt wichtig: Jede und jeder, auch der Andersdenkende hat eine Würde. Nicht über Menschen lasst uns sprechen, sondern über Meinungen streiten!           

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