Ärger über Kopfsteinpflaster, Wechselkurs 1:4,70 und ein Überfall auf einen Geldtransport – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

Wie sehen eigentlich Revolutionen aus der Sicht von Frauen aus? Wie geht es ihnen, wenn ihre Männer in Gefahr sind? In einer solchen Situation befindet sich Gertrud, die Bauerntochter und Geliebte des Leibkutschers, von dem sie ein Kind erwartet. Aber Hinrich ist nicht zu Hause. Dafür sind die Zeiten, wie sie im zweiten der insgesamt der insgesamt fünf Angebote, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 19.06.20 – Freitag, 26.06.20) zu haben sind, beschrieben werden, zu sehr durcheinander, revolutionäre Zeiten eben. In seinem Roman „Sieben Rebellen“ versetzt uns Heinz-Jürgen Zierke in die Auseinandersetzungen des Jahres 1848, unter anderem gesehen mit den Augen einer Frau, mit Gertruds Augen. Werden sie und Hinrich, ihr Geliebter, sich wiedersehen und glücklich werden? Und was wird mit ihrem Kind?

Von Menschen und Tieren erzählt Wolf Spillner in seinen fünf Erzählungen unter dem Titel „Der Bachstelzenorden“. Das ist ein Orden, den es eigentlich gar nicht gibt. Oder doch?

Außerdem präsentiert der heutige Newsletter zwei spannende Krimis, auch wenn zwischen ihrer jeweiligen Veröffentlichung rund fünf Jahrzehnte liegen: „Die Banknote“ von Wolfgang Schreyer aus dem Jahre 1955 und „Der siebente Winter“ von Jan Eik aus dem Jahre 2000. Beide Bücher fangen auch sehr viel Zeitgeist ein.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Diesmal geht es um Südamerika, genauer gesagt um Brasilien und um die mit geradezu kriegerischen Mitteln gegen die dort lebenden indianischen Ureinwohner geführte Suche nach Bodenschätzen. Gnadenlos werden die Urwälder abgeholzt. Und nicht zuletzt insofern sind gerade in diesen Tagen und Wochen die Parallelen zum aktuellen Geschehen in Brasilien nicht zu übersehen. Das sollte man mitbedenken, wenn man dieses inzwischen bereits vor 46 Jahren erschienene Buch liest:

Erstmals 1974 veröffentlichte Hans-Ulrich Lüdemann im Verlag Neues Leben Berlin „Keine Samba für die Toten“: Wenn es schon keine Samba für die Toten gibt, so darf es erst recht keine Samba für die Schwarzen Herzen geben. Mit den ersteren sind die brasilianischen Indianer gemeint, die von raffgierigen Subjekten oder in deren Auftrag zu Tausenden umgebracht worden sind. Untersuchungen zum Massaker an den Cinta-Largas-Indianern belegten 1968 eindeutig, dass diese der Gewinnung von Bodenschätzen und dem Abholzen der Urwälder auf dem Gebiet, welches den Eingeborenen auf ewig als unverkäufliches Eigentum zugesprochen war, entgegenstanden. Um zu beweisen, dass die Cinta-Largas ihr Land aufgegeben hatten, es laut Gesetz als herrenlos in Besitz genommen werden durfte, wurden sie aus der Luft bombardiert, mit vergifteten Bonbons beschenkt oder ohne Ausnahme von gedungenen Pistoleiros wie wilde Tiere abgeschossen. Wer wie der junge Polizist Jorge Monte gegen solche Bestien in Menschengestalt ermittelt, muss um sein Leben fürchten. Da gibt es zu allem Übel auch die anderen, nicht weniger Gefährlichen: Hat der Geologe Dr. Santander gegen ein Handgeld die Schreibtischtäter in Nadelstreifen aus Rio de Janeiro oder Sao Paulo mit geheimem Kartenmaterial zu den Bodenschätzen versorgt? Warum verfolgt man ihn und versucht ihn zu töten? Auf Jorge Montes Seite finden sich der Niedere Klerus und fortschrittliche Brasilianer. Eine tödliche Jagd nach jenem Foto mit der gemeuchelten jungen Indianerin als unwiderlegbarer Beweis für ein Gerichtsverfahren beginnt.

Im Zeitalter der modernen Nachrichtenübermittlung blieben der übrigen Welt jene Verbrechen gegen die Urbevölkerung nicht verborgen. Das Bundeskriminalamt Brasiliens stellte Untersuchungen an, dessen Bericht im März 1968 der Weltöffentlichkeit zugänglich wurde. Es ist von 5.115 Seiten die Rede, auf denen die scheußlichsten Verbrechen aufgeführt sind, deren verrohte Menschen fähig sind. Erschüttert mussten die Beamten feststellen, dass der Leiter des Indianerschutzdienstes (SPI), Ex-Major Luiz Vinhas Neves, durch seine Verkäufe von Indianerland etwa 1,2 Millionen Mark ergaunert hatte. Jedes Mal war, wie bekannt, festgestellt worden, dass die südamerikanischen Aborigines den betreffenden Landstrich vorher aufgegeben hätten. Allerdings – ein angekündigter Prozess gegen korrupte SPI-Mitarbeiter hat nie stattgefunden. Hier der Beginn des 1. Kapitels:

„Mühselig bahnten sich die sechs Männer einen Weg durch den Dschungel. Schweiß lief über die Gesichter und zog Schwärme von Insekten an. Das Wasser brannte in den Augen und färbte die von Dornen zerrissenen Hemden dunkel. Der Stahl der Machete blinkte stumpf, wenn der Erste in der Reihe mit kräftigen Hieben versuchte, eine Gasse für sich und die anderen in das dicht gewachsene Lianengewirr zu schlagen. Gaben umgestürzte Urwaldriesen den Blick zum Himmel frei, war die Sonne nur als unklares, kreisförmiges Gebilde zu erkennen. Ihre Strahlen besaßen nicht die Kraft, die feucht-heiße Nebelglocke über dem Gebiet des Rio Juruena zu durchbrechen.

Der Vordermann hielt plötzlich inne. Die Machete baumelte an einem Lederriemen an seinem Handgelenk. Eine kleine Lichtung mitten im Urwald! Die Männer hinter ihm, die im Halbschlaf vor sich hintrotteten, liefen auf. Erschreckt rissen sie die Köpfe hoch. Chico Luiz, der Anführer, der den Schluss der Reihe bildete, schob sich an der Gruppe vorbei und betrat die Lichtung. Die fünf Pistoleiros folgten ihm.

Miguel nahm alle Kräfte zusammen und sprintete förmlich bis in die Mitte der Urwaldwiese. Dann brach er zusammen. Er war klein und ausgemergelt und rang verzweifelt nach Luft. Die langen schlanken Finger krampften sich um Grasbüschel. Selbst nach tagelangem Umherirren in dieser grünen Hölle sahen die Fingernägel gepflegt aus. Der spindeldürre Mann war Falschspieler. Er hatte, als sein Spielpartner die faulen Tricks durchschaute, diesen im Streit niedergestochen. Mit Mühe und Not war er aus der Taberna entkommen.

Ohne den Erschöpften eines Blickes zu würdigen, stapfte Chico Luiz, Aufseher und Leibwächter von Senhor Junqueira, dem Auftraggeber der Männer, weiter. Das Gras reichte ihm bis an die Hüfte. Über der rechten Schulter baumelte der Gurt einer Maschinenpistole. Statt Hosenriemen umspannte ein breiter Patronengurt seinen Bauch.

Auf dem freien Platz, wo man ausgiebig Gelegenheit hatte zu sehen, dass es auch in dieser gottverlassenen Gegend einen Himmel gab, herrschte beklemmende Stille.

Chico Luiz spürte die Blicke, die auf seinen Rücken gerichtet waren. Er drehte sich langsam um und starrte wortlos auf seine Untergebenen. Nur Miguel konnte der Anführer nicht sehen. Der lag im scharfkantigen Gras wie begraben. Die Männer rührten sich nicht von der Stelle.

Chico Luiz schob mit dem Zeigefinger der rechten Hand den speckigen Hut ins Genick. Die Augen waren zusammengekniffen. Er wartete.

Als Erster löste sich Antonio aus der Gruppe und stolperte langsam auf Chico Luiz zu. Der grinste zufrieden.

„Companheires, ich möchte weiter“, sagte Chico Luiz sanft. „Ihr werdet doch kurz vor dem Ziel nicht schlappmachen?“

Ataide dos Santos schaute unschlüssig die zwei neben ihm Stehenden an. Dann fiel sein Blick auf den Falschspieler Miguel, der zu schlafen schien. Er fuhr sich mit der flachen Hand über die kurz geschorenen schwarzen Haare. „Hör mal, Chico“, sagte er vermittelnd. „Hör mal, wir sind jetzt zehn Tage im Fegefeuer. Ein Tag Ruhe kann nichts verderben.“

Abwartend schauten alle auf ihren Anführer. Als einer der Männer zur Gesäßtasche fasste, um mit einer Zigarette die Pause einzuleiten, kam Leben in Chico Luiz. Er riss die Maschinenpistole herunter.

Santos ließ resignierend die Schultern fallen und stieß den noch immer regungslos liegenden Miguel mit der Schuhspitze in die Seite. Miguel kam mit dem Oberkörper aus dem Gras und stützte sich auf die Knie. Verständnislos starrte er in die Mündung der Maschinenpistole. Santos reichte ihm die Hand. Der kleine Mann rappelte sich ächzend hoch und taumelte zu Chico Luiz. Die anderen folgten.

Santos murrte laut: „Erst tagelang stromaufwärts! In die falsche Richtung. Weil unser Chef nicht mit einem japanischen Kompass umgehen kann!“

Chico Luiz lächelte. Mit dem Lauf der Maschinenpistole schob er Santos weiter. Wieder bildete der Anführer den Schluss der Gruppe. „Morgen früh erledigen wir unsere Arbeit, Santos. Dann kannst du machen, was du willst. Die anderen Companheiros werden so schnell wie möglich nach Cuiabá zurückwollen. Mit mir!“

Chico Luiz wusste, dass dieser Neue genau wie der mickrige Falschspieler auf Gedeih und Verderb der Companhia ausgeliefert war.

Santos drehte sich um und spuckte aus. Dann folgte er gelassen seinem Vordermann.

Sie befanden sich im Gebiet der Cinta-Largas-Indianer. Am Vortage hatten sie Rauchsäulen ausgemacht, es war offenbar die große Siedlung, nach der sie suchten.“ Und damit zu den ausführlicheren Präsentationen der anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters.

Erstmals 1967 erschien im VEB Hinstorff Verlag Rostock der Roman „Sieben Rebellen“ von Heinz-Jürgen Zierke: An einem Morgen im Februar 1848. Hinrich Knubbe hebt die Peitsche. „Schlag zu!“, befiehlt Herr von Negendangk. Aber Knubbe lässt die Peitsche sinken vor dem Bauern Krumbeck, dem Vater seiner Braut. Und der Herr hetzt ihn mit Hunden vom Hof. In der Stunde der Not findet Hinrich neue Freunde, Bauernsöhne, Tagelöhner, Bürger aus der Kreisstadt. Nur Krumbeck verschließt vor ihm das Tor. Der landstolze Kleinbauer will seine Tochter nicht dem Leibkutscher geben. Negendangk ruft Militär. Da bricht in Berlin die Revolution aus. Die Soldaten ziehen ab. Die Bauern veranlassen Krumbeck, seine Zustimmung zur Hochzeit zu geben. Kaum aber haben sich die Stürme der Revolution gelegt, erhalten Knubbe und seine Freunde im Dorf den Gestellungsbefehl. Jetzt vor der Ernte? Sie ziehen zum Landratsamt, um ihre Freistellung zu verlangen. Neugierige strömen ihnen zu. Die Behörden fürchten einen Aufstand und schicken nach den Kürassieren. Fünf Mann schlagen sich nach Berlin durch. Sie geraten in den Sturm auf das Zeughaus. Hinrich wird verwundet. Er will Preußen verlassen. Aber die Sehnsucht nach Gertrud und dem Kind, das sie erwartet, lässt ihn noch einmal die Heimat aufsuchen. Unerkannt gelangt er bis zu Krumbecks Gehöft. Aber der Bauer, aus Angst um seine Tochter, liefert ihn den Häschern aus. Zur Einstimmung in das spannende Buch der Anfang des zweiten Kapitels, in dem es zunächst scheinbar idyllisch zugeht:

„In den ersten Tagen glaubte Grete, sie könnte sich nie an die engen, gepflasterten Straßen Witgards gewöhnen, in denen sich die Häuser so dicht an den Fahrweg drängten, dass die Kutscher nicht mit den Peitschen knallen konnten, weil sie sonst die Fensterscheiben einschlugen. Die Dorfstraße daheim war so breit, dass zwei schwere Ochsenwagen aneinander vorbeikamen und dann immer noch Platz blieb für eine Bäuerin mit zwei Mollen Brotteig. Vom Gehweg konnte auch niemand in die Stuben schauen, denn die Straße und die weitlüftige Häuserzeile waren getrennt durch Vorgärten mit Stachelbeersträuchern und Kirschbäumen.

Am meisten ärgerte sich Grete über das harte Kopfsteinpflaster. Wenn sie am Morgen von Bäcker Mollings Stand auf dem Markt die Frühstücksbrötchen holte, klapperten ihre Holzpantoffeln, als tanzten sie über eine große Trommel. Gewiss, auch der Schlosshof Krummenhus war gepflastert, aber zwischen den Steinen wuchs in der wärmeren Jahreszeit doch wenigstens Gras, und die Beine konnten sich in dem weichen Sand der Landwege erholen, in dem man oft bis an die Knöchel einsank. In der Stadt, ließ Grete sich erzählen, musste jeder Hausbesitzer im Winter Schnee fegen und im Sommer das Gras ausrupfen lassen. Für jeden Grashalm, den der Polizeidiener fand, hatte der Bürger einen Silbergroschen in die Armenkasse zu zahlen. Jetzt war allerdings kein noch so kleines Hälmchen zu finden. Gewiss war der strenge Frost den milden Westwinden gewichen; am Tage, wenn die Stuben geheizt wurden, tropfte es schon aus den Ritzen der hölzernen Dachtraufen, und in den flachen Rinnsteinen lief das schmutzige Schmelzwasser den Marktberg hinunter, aber in den Nächten erstarrte es wieder zu blankem Eis.

Die Gassenjungen machten sich einen Spaß daraus, morgens mit derben Stöcken die Eiszapfen abzuschlagen. Am Montagmorgen wäre so ein Brocken fast in Gretes Milcheimer gefallen. Das Mädchen konnte gerade noch ausweichen, hob aber das Eis auf und warf es dem nächstbesten Jungen an den Kopf. Das war der Sohn des Stadtschreibers Kickermann. Seine Mutter erzählte es am Nachmittag Elisabeth Kattentid, und die schalt ihr Dienstmädchen tüchtig aus.

Grete führte nun dem Apotheker Simon Kattentid und seiner erwachsenen Tochter das Haus, versorgte Küche, Boden und Keller, und später kam noch der Kräutergarten dazu. Die Hausfrau war vor drei Jahren an Engbrüstigkeit gestorben; die Pillen und Mixturen ihres Mannes hatten dagegen so wenig geholfen wie die Aderlässe des Wundarztes Bütz. Bis jetzt hatte Ernestine, die langjährige Stütze des Apothekers, den Haushalt besorgt. Nun war sie in die Jahre gekommen und hatte sich ins Sabinenstift zurückgezogen. Sie stammte aus besserer Familie. Ihr Vater, ein Tuchhändler, war 1806, als die Franzosen das Hohenlohesche Korps in die Uckerwiesen trieben, durch eine verirrte Kugel umgekommen, ihre Mutter überlebte ihn nur um zwei Jahre. Ernestine, für die sich in jenen unruhigen Jahren kein Freier fand, der den Handel hätte weiterführen können, verkaufte das Haus und das kleine Warenlager und erwarb für den Erlös ein Anrecht auf einen Platz im Stift. Dann zog sie zu einer älteren Freundin, der Mutter Simon Kattentids. Sie blieb im Hause, als die alte Dame längst unter den schattigen Linden des Erbbegräbnisses ruhte, überlebte noch Simons Frau und gönnte sich endlich, als ihr das Podagra das Auf- und Niedersteigen der engen, steilen Treppen im Apothekerhause verwehrte, im Stift einen geruhsamen Lebensabend.

Als ihre Nachfolgerin kam Grete ins Haus. Elisabeth, die Tochter des Apothekers, kümmerte sich kaum um die Wirtschaft, sie kontrollierte selbst die Abrechnungen nur selten. Womit beschäftigte sie sich eigentlich? Sie las, ging spazieren, konnte stundenlang am Fenster stehen und auf die Gasse hinausstarren. Oder träumte sie? Grete begriff diese Untätigkeit nicht. Sie war schon in den frühen Kinderjahren angehalten worden, immer etwas zu tun. Sie sah es auch in anderen Familien: die Kinder konnten kaum richtig auf den Beinen stehen, da mussten sie schon mit anpacken, zuerst der Mutter zur Hand gehen, dann im Hausgarten und auf dem Deputatland herumwühlen, und schließlich nahmen die Eltern sie mit aufs Feld. Für die Schule blieb nur in den Winterwochen etwas Zeit. Mit dreizehn oder vierzehn Jahren nahm die Herrschaft die Mädchen in Dienst, später heirateten sie, und dann kam zur Tagesarbeit noch der Haushalt. Nur wenn sie Kinder bekamen, konnten sie sich zwei Tage ausruhen. Vielleicht gab es deswegen so viel Kinder im Dorf. Elisabeth Kattentid war nicht hübsch; sie wusste es wohl, aber sie gab sich auch keine Mühe, es zu verbergen. Sie übertünchte die Blässe ihrer Wangen nicht mit rotem Puder, sie versteckte die Ausdruckslosigkeit ihrer Augen nicht hinter geschwärzten Wimpern. Eitel ist sie nicht, dachte Grete Koppen.

Oft wenn Grete ihre junge Dienstherrin sah, überraschte sie sich dabei, wie sie sich hämisch über Elisabeths Magerkeit freute. Zu Hause hatte ihre Freundin Berta sie dürr gescholten. Als sie zum ersten Mal zum Tanz ging, hatte sie sich ein Tuch ins Mieder gesteckt, um eine kräftige Brust vorzutäuschen. Heute musste sie lachen, wenn sie daran dachte. Dieses Stadtmädchen mit dem komischen Namen war noch viel, viel dürrer als sie. Mademoiselle Elisabeth, wie sie sich gerne nennen ließ, war einen halben Kopf größer als Grete und in den Schultern noch schmaler, in der Brust flacher, von den Hüften gar nicht zu reden. Einmal, als sie ihr morgens die Schokolade ans Bett reichte, hatte Grete ihre Beine gesehen, sie waren kaum stärker als der gedrehte Spazierstock des Herrn Apothekers. Berta sollte noch ein Wort von dürr sagen!

Bei ihren vielen Laufereien kam Grete nur selten dazu, an Hinrich zu denken. Dass ihn der Herr vom Hof gejagt hatte, wusste sie noch. Von Tine Krenzin, die sie auf dem Markt traf, erfuhr sie, dass ihn die Bauern im Dorf reihum beköstigt hatten und ihm auch das Nachtlager gaben. Er musste es abarbeiten. Nur Wilhelm Krumbeck verriegelte das Tor, wenn Hinrich in die Nähe des Gehöftes kam.“

Erstmals 1979 veröffentlichte Wolf Spillner im Kinderbuchverlag Berlin „Der Bachstelzenorden. Fünf Erzählungen“: Gäbe es ihn, Hannes hätte ihn verdient: den Bachstelzenorden. Und nicht nur, weil er Stapellauf, Auszeichnung und Fernsehkamera davonlief, um ein Bachstelzennest zu retten. – Eines Tages hält Gustav seine Lok vorschriftswidrig an. Seltsam, denkt er, dass die Vögel nicht nach der Seite davonfliegen, sondern immer gegen die fahrende Lok prallen und sterben. Und er beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen. Wolf Spillner hatte als Junge den großen Wunsch, einen Hund zu besitzen. Der erfüllte sich schließlich, doch was dann geschah, ist ihm auch heute noch Anlass, in seinen Geschichten von Menschen und Tieren zu erzählen, von keinen besonderen Menschen und keinen exotischen Tieren, sondern solchen, denen man überall begegnen kann, schaut man nur richtig hin. Die Erzählung „Ein Denkmal für Fritz Schmahl“ wurde Mitte der 1980er Jahre unter dem Titel „Ein Wigwam für die Störche“ vom Fernsehen der DDR in der Regie von Andreas Schreiber verfilmt und am 28. März im ersten Programm erstausgestrahlt. Die Hauptrolle spielte Erwin Geschonneck. Und so beginnt die literarische Vorlage, die Erzählung von Wolf Spillner:

Ein Denkmal für Fritz Schmahl

Das ist eine schlechte Nachricht!

Sie kommt aus dem Traktorenfenster. Paul Faust muss sie schreien. Der Motor dröhnt, und Fritz Schmahl hat nicht mehr die besten Ohren.

Das ist an einem Märznachmittag, in der Zeit eines Sonnenloches, zwischen zwei von diesen Wolken. Sie sehen aus, als wären ihre Bäuche mit Tinte gefüllt und die oberen Ränder mit feinem, duftigem Eierschnee überzogen. Sie sind voll und schwer von Tropfen und harten Graupeln. Sie ziehen sehr rasch, kommen über dem Wald herauf, dunkeln die wellige Feldmark zwischen den Knickhecken aus Schwarzdorn und eilen hoch über die letzten wenigen Schilfdächer des Dorfes zum See. Sie zerreißen ganz plötzlich und schütteln sich aus.

Da hat man kaum Zeit, über die Dorfstraße unter das nächste Dach zu kommen.

Till Jasper wetzt in der kurzen Pause, die zwischen den schweren Wolken bleibt, gerade noch von der Bushaltestelle nach Hause. Er hat es nicht weit. Die Mädchen bleiben lieber im Wartehaus. Die nächste Wolke ist schon so nahe. Und der Wind ist so kalt. Nicht jeder kann flitzen wie Till. Noch ist strahlendes Licht, und die Schilfdächer schimmern wie altes Silber.

Paul Faust streckt den Daumen aus dem Fenster nach oben und schreit: „Nun mach bloß, Fritz, eh du dir ’ne Ladung aufhuckst!“

Fritz Schmahl kneistert die Augen zusammen. Das Licht blendet so. Er sieht, wie Till oben auf der Straße in den Hausgarten springt. Wenn man so laufen könnte! Und er sieht die nächste Wolke, blau und schwarz. Hat er doch zu lang mit Paul geklönt. Schlimme Sache, was der Paul gesagt hat!

Der Traktor bullert los. Er wankt durch die Wasserlöcher über die alte Feldstraße davon. Fritz Schmahl dreht die Schultern gegen den Wind, der jetzt bockig über die Felder springt. Es sind nur zweihundert Meter bis zu seinem Haus an der Weggabel. Die Trauerweide im Vorgarten peitscht ihre langen Zweige über den Zaun. Sie wehen wie grüngoldenes Haar. Aber ehe Fritz Schmahl unter ihnen durch die Pforte und unters Dach kommt, ist die Wolke schon über ihm. Er wird kladdernass.

Unter dem Vordach der Haustür schüttelt er sich aus. Da steht er, klein, breit und ein bisschen krummbeinig. Er nimmt die Mütze ab, die alte speckige, die Wintermütze, die Sommermütze. Die hat sieben Farben oder gar keine mehr. Er schlägt sie gegen die Hosenbeine, und das Wasser spritzt.

Die Scheune! Da drüben taucht sie nun wieder hinter dem Regenvorhang auf. Im jähen Sonnenlicht steht sie vor der Feldflur, und neben ihrem steilen Dach steigt von der nassen Saat eine Lerche hoch. Sie singt sich in den Himmel hinauf, ist ein geflügelter Punkt über dem alten Reetdach, winzig im Licht und dunkel vor dem Wolkenweiß.

Morgen soll die Scheune weg, hat Paul Faust gesagt. Der Vorstand hat es beschlossen. Einsturzgefahr! Ja wirklich, das Dach ist zerfledert wie ein nasser Gänseflügel in der Mauser. Jeden Tag frisst der Wind die Löcher weiter auf. Die Balken faulen schwarz und grün, und die Wände wollen einbrechen. Ein Schandfleck, sagt der Vorsitzende. Recht hat er! Niemand braucht die Scheune mehr. Kein Heu liegt unter dem Löcherdach und kein Stroh. Niemand wird traurig sein, wenn sie wegkommt.

Niemand?

Die Jungens vielleicht. Die Truppe von Till. Die Lausebengels haben sich nie drum geschert, dass die Scheune gesperrt ist, das Tor verrammelt und verriegelt. Die haben noch immer ein Loch durch die brüchigen Lehmwände gefunden. Eine Riesenhöhle, diese Scheune! Da konnten sie verschwinden, die Taschen voll mit Äpfeln. Oder mit Eierpflaumen, großen roten aus Kowaltschiks Garten. Haben sich vollgestopft, bis sie Bauchschmerzen hatten.

Fritz Schmahl schüttelt den Kopf, reibt sich das Wasser aus dem Stoppelbart. Der Till! Der wird das nicht glauben wollen. Die anderen Kinder auch nicht. Na gut, mit den Kindern kann man reden, aber jeden Tag können die Störche kommen! Dass sie noch nicht da sind, liegt nur an diesem Schweinewetter.

Auf dem Scheunenfirst, am Giebel, wo die hölzernen Pferdeköpfe längst abgebrochen und weggefault sind, ruht groß und schwer das Storchennest. Ein Riesenklumpen aus Ästen und Zweigen. Es sieht so alt aus wie die Scheune selber.

Die Scheune abreißen – das ist schnell gemacht! Die große Raupe heran oder den Kasimir, das Riesending mit seinen dreimal hundert Pferdestärken, Stahltrosse angelegt und gezogen! Ruck – zuck, krachen die Balken zusammen. Kommt die Scheune weg, fällt das Storchennest. Wo sollen die Vögel dann brüten? Sie gehören doch zum Dorf wie der alte Schmiedekaten und der neue Rinderstall! Denkt denn niemand an die Störche?

Nass steht Fritz Schmahl unter dem Vordach. Licht und Wolken jagen sich über dem Storchennest. Es scheint, als zöge das Nest auf einem Schiff den Wolken entgegen. Die Gedanken ziehen mit. Sie fliegen durch die Zeit und über das weite, leicht wellige Land, über den See, von dessen Uferweiden die harten Stimmen der wilden Gänse heraufklingen, bis über die Wälder hin, wo der Fluss zwischen den Weiden die Mühle von Busenbeek trieb. Dort, auf dem Gut wurde er Knecht, der im Stall schlief, in der Kammer, deren Boden mit rotem Ziegelstein ausgelegt war. Hinter der Wand schnoberten die Pferde. Fünfzig Jahre ist das her. Doch es ist wie gestern für Fritz Schmahl.

Das Storchennest damals. Es stand auch auf einer Scheune, neben den Ställen, weitab vom Haus des Herren. Die Störche hatten schon Junge, als er auf dem Gut nach Arbeit fragte. Der Inspektor besah ihn, die Hände in den Taschen der Stiefelhose.

„Kannst du mähen?“ Er konnte mähen, für zwei, wenn es darauf ankam. Er war breit und stukig. Der Inspektor musterte ihn wie ein Pferd. Menschenkraft war billig, und das Gras auf den Wiesen am Fluss stand hoch und weit. Die Sensen der Schnitter zischten durch Minze und Baldrian. In langem Schwad fiel das Grün und trocknete unter den Rechen der Frauen zu duftendem Heu. Zwischen ihnen machten die Störche vom Scheunendach stakbeinig und bedächtig Jagd auf Frösche und Mäuse. Sie hatten ein gutes und leichtes Leben. Ihre Jungen reckten schon schwarze Schnäbel über den Nestrand.

Um vier Uhr in der Frühe, wenn er aus seiner Kammer kam, standen die alten Störche noch auf dem Nest. Ging er mit der Sense auf der Schulter vom Hof, strichen sie davon auf großen Flügeln, schraubten sich hinter der Schwarzpappel in den Junihimmel, leicht und schwerelos und frei, wie nur ein Vogel fliegen kann. Dann sah er ihnen nach. Und er wünschte sich, mit ihnen fliegen zu können. Zogen sie nicht im späten Sommer weit fort, bis nach Afrika sogar, wie es hieß? Auch die Storchenkinder würden über die Gebirge und das Meer fliegen.

„Die Scheune wird abgerissen“, sagte Perlick, der Vorarbeiter, am Abend. Sie saßen vor dem Stall auf der Bank. Er sagte es gleichgültig und sah an dem Storchennest vorbei.

„Und die Störche?“

„Hast du keine anderen Sorgen?“ Der Vorarbeiter musterte ihn missbilligend. „Sollen die sich was ausdenken!“ Er ruckte mit dem Kopf zum Herrenhaus hin.

Aber im Herrenhaus machte sich niemand Gedanken, und der Inspektor auch nicht. Er hatte ein scharfes Auge, dass der Abriss schnell ging, schnauzte und trieb zur Eile. Die Störche kreisten klappernd, als die Männer das Schilf vom Dach stießen. In der Mittagspause fütterten sie, und die Jungen, die den halben Tag ohne Futter geblieben waren, gierten und bettelten wie toll. Zum Sonnenuntergang hing das Storchennest über einem kahlen Dachskelett.“

Erstmals 1955 erschein im Verlag Das Neue Berlin Der Kriminalroman „Die Banknote“ von Wolfgang Schreyer: Halle 1954. Ein Betriebsleiter kassiert mit der Jahresprämie einen Fünfzigmarkschein, durch zwei grüne Tintenspritzer seltsam markiert. Er schenkt ihn Inge, seiner jungen Frau – die fährt mit ihren Ersparnissen nach Westberlin. Sieben Jahre vorm Mauerbau eine atemberaubende Stadt! Zum Wechselkurs 1:4,70 kauft sich Inge dort eine „Lambretta“ von NSU, als das noch kein mörderischer NS-Untergrund, sondern eine Automarke ist. Und nun wandert der Geldschein weiter, von einem flotten Callgirlring zur KgU, einem der vier Dutzend Geheimdienste vor Ort. Spannend und punktgenau liefert die Spur der Banknote das Panorama einer „Frontstadt“ aus längst versunkener Zeit. Versetzen wir uns also zurück in die Mitte des vorigen Jahrhunderts:

1. KAPITEL

Um die Mittagsstunde des 1. Dezember 1958 betrat ein schlichtgekleideter Mann die Hauptniederlassung der städtischen Sparkasse Halle (Saale). Zu dieser Zeit war der große Schalterraum fast leer; es roch nach Fußbodenöl und Zigarettenrauch. Vor der Barriere lehnte ein junger Bursche – vielleicht der Lehrjunge eines benachbarten HO-Geschäfts, der Wechselgeld holen sollte. Dahinter hantierte eine Bankangestellte mit einem schwierigen Apparat; sie steckte ein Sparbuch hinein, drückte verschiedene Knöpfe, und die Maschine begann zu rasseln. Hartgeld klirrte, halblaute Sätze wurden gemurmelt, wieder rasselte die Maschine. Trübes Licht fiel durch die hohen, unten mattierten Scheiben, brach sich in den Glasaufbauten der Schalterwände. Die Tür des mächtigen Panzerschranks stand halb offen.

Der Eintretende nahm dies alles wahr; die passende Situation für einen Bankeinbruch, dachte er flüchtig. Aber das gab es wohl nicht mehr, wie überhaupt die Zahl der Verbrechen von Jahr zu Jahr geringer wurde … Er blieb stehen, blinzelte ein wenig und nickte gewohnheitsmäßig dem grauhaarigen Kassierer zu. Ihm wurde bewusst, in welch sonderbar nachdenklicher Stimmung er sich befand.

„Schönen guten Tag, Herr Lenz“, erwiderte der Kassierer den Gruß; er knüpfte, während der Lehrling seine Groschenrollen einsackte, sogleich eine Unterhaltung an. „Sie kommen diesmal selbst? Wie geht es der Frau Gemahlin? Gut? Freut mich, freut mich sehr. Die Kinder gesund?“

Er sprach gedämpft, mit routinierter Liebenswürdigkeit. Zwischendurch prüfte er den Kontoauszug und suchte den Beleg heraus. „Ah, eine Prämie diesmal. Aber wie kommt die aufs Konto? Sie waren bei der Prämienauszahlung wohl nicht im Betrieb? Immerhin, man darf Ihnen dazu sicher gratulieren!“

„Ja, ich war auf Dienstreise.“ Werner Lenz lächelte dünn. Dabei zerrte er, den Ellbogen auf den Schaltertisch gestützt, gedankenverloren an seinem unförmigen Ohr, in dessen Muschel dunkelblonde Haarbüschel wuchsen. Unbeholfen stand er da, weit weg mit seinen Gedanken. Jetzt bot er keineswegs das Bild des kraftgeladenen Mannes, der er in Wirklichkeit war. Dreiundvierzig Jahre war er alt, breitschultrig und gedrungen, hatte sehnige, etwas kurzfingrige Hände, grobgeschnittene Züge, unregelmäßige, aber feste weiße Zähne; er leitete eine kleine volkseigene Lackfabrik am Südrand der Stadt. Er tat es mit Umsicht und Energie, auf eine zupackende, humorvolle Art. Privat galt er als das, was Berufskollegen und Bekannte einen „feinen Kerl“ nennen. Nur heute stimmte etwas nicht mit ihm, er spürte es selbst. Zum Teufel auch, was war denn los?

„Fünfhundertfünfzig Mark“, flüsterte der Kassierer, indes er zu dem mit Banknotenstapeln gefüllten Regal hinübersah. „Wie darf ich’s Ihnen geben?“

„In großen Scheinen möglichst“, erwiderte Werner Lenz. Er mochte den Alten gern und plauderte sonst manchmal ein paar Minuten mit ihm, wenn kein Andrang herrschte. Seine altmodische Höflichkeit nötigte ihm stets ein kleines Lächeln ab. Früher, das wusste er wohl, wäre es keinem Bankkassierer jemals eingefallen, sich um ihn zu bemühen; ganz davon abgesehen, dass er damals kein Konto besaß und in solch einem Raum überhaupt nichts zu suchen hatte.

„In großen Scheinen, sehr wohl“, murmelte der Graukopf, befeuchtete die Finger an einem Schwämmchen und griff in das Fach der braunen Hunderter. Lenz schien es, als sei er ein wenig gekränkt. Er versuchte, ein freundliches Wort für den alten Mann zu finden, doch seine Gedanken schweiften ab. So blieb er schweigend stehen und zupfte an seinem Ohrläppchen: zerstreut und grüblerisch. Er war nicht bei der Sache.

Im Hintergrund lärmte die Maschine, Papier raschelte, dann lag ein kleines Häufchen brauner Hunderter vor ihm – obenauf ein roter Fünfzigmarkschein. Lenz betrachtete ihn versunken. Die Banknote war fettig und zerknittert; sie erinnerte ihn an eine andere, die er einst im Brustbeutel bei sich getragen hatte, neben der Erkennungsmarke. In der Entlausungsanstalt Brest-Litowsk war der Lederbeutel versehentlich in die Heißluftkammer geraten, wo er zusammenschrumpfte und mit allem, was an Schweiß und Fett in ihm saß, den Geldschein durchtränkte, so dass der fast durchsichtig davon geworden war.

„Zählen Sie nach“, mahnte der Kassierer. Doch Werner Lenz fuhr fort, auf die Note zu starren. Fünfzig Deutsche Mark, las er; von der Deutschen Notenbank auf Grund ihrer Satzungen ausgegeben. Reichlich ein Jahr war vergangen seit dem Banknotenumtausch vom Oktober 1957, der damals für alle Schieber und Spekulanten ein wohlgezielter Schlag gewesen war. Er erinnerte sich noch an die Diskussionen in dem Aufklärungslokal, in dem er sein Geld umtauschen musste. Einige der Wartenden waren unzufrieden und quengelten laut. Er aber hatte sich gefreut, dass ein so großes Unternehmen bis zum letzten Augenblick geheim gehalten werden konnte und nun dank einer beispiellosen Organisation reibungslos ablief. Fünfviertel Jahre lang ging dieser Schein nun von Hand zu Hand – kein Wunder, dass er so aussah. Geld stinkt nicht, sagt man; aber in diesem Fall roch es wohl doch. Nach den Menschen, die es befingert, zerknüllt, mit sich herumgetragen haben. Wem mag der Schein wohl gehört, was wird er alles erlebt haben … Links oben, neben der Nummer, gewahrte Lenz zwei giftgrüne Tintenspritzer, ihre Form und Stellung erinnerten an die Schlitzaugen einer Maske. Wie mochten sie daraufgekommen sein?

„Es ist kein sehr schöner Schein“, bemerkte der Kassierer entschuldigend. „Leider ist es der letzte. Wir schließen gleich. Sie wünschten großes Geld! … Den allerdings wollen wir doch lieber aus dem Verkehr ziehen. Darf ich Ihnen fünf Zehner dafür geben?“

„Lassen Sie nur“, murmelte Lenz; er hatte kaum hingehört. Seine Hand schob sich auf den kleinen Stapel, er verspürte plötzlich den närrischen Wunsch, etwas über das Schicksal der Note zu erfahren; doch zugleich wurde ihm wieder bewusst, wie unentschlossen und verträumt er dastand, dass er sich seltsam benahm. Etwas stimmte nicht mit ihm – woran lag das? Nun, einerlei, Schluss damit! Er gab sich einen Ruck, blätterte flüchtig die Scheine durch (fünf Hunderter, ein Fünfziger, jawohl) und schob sie in die Brieftasche.

„Verzeihen Sie … wie haben Sie das nur angefangen?“, hörte er den anderen von weit her flüstern.

„Wieso angefangen?“, fragte er verständnislos zurück. Der Kassierer hatte sich vorgebeugt und die Brauen hochgezogen; es war eine Miene respektvoller Neugier. Nun rieb er nervös die Hände und fügte etwas unsicher hinzu: „Ich wollte natürlich keineswegs indiskret sein …“

Jetzt begriff Werner Lenz den Sinn der Frage; er beschloss sogleich, eine freundliche Erklärung zu geben, um seine Zerstreutheit wiedergutzumachen. „Sie meinen, wie die Prämie zustande gekommen ist? Wir haben einen neuen Lack entwickelt, das heißt eine graue Vorstreichfarbe: deckt gut, ist genügend hart, trocknet rasch. Das Zeug ging reißend weg, wir konnten unseren Betriebsplan übererfüllen, verstehen Sie?“ Er sagte „wir“, wusste aber, dass ihm allein die Idee gekommen war, dass er, weil er gern experimentierte, die neue Farbensorte entdeckt hatte.

Der Kassierer griff sich an die Nase. „Offen gestanden, noch nicht ganz“, gab er zurück. „Man entwickelt einen neuen Lack – und schon ist der Betriebsplan übererfüllt?“

„Nein, nein“, erwiderte Lenz; er schob den Finger zwischen Hals und Kragen. „Ich habe die Hauptsache vergessen. Die Rohstoffe, aus denen wir die Farbe herstellen, wurden vorher als Abfallprodukte weggeschüttet. Sie kosten uns sozusagen nichts, das ist der springende Punkt.“

„Ja, jetzt verstehe ich“, versetzte der Kassierer. „Sie haben also Reste verwertet. Meine Frau macht das manchmal auch; dann kocht sie alles zusammen, wissen Sie. Aber eine Prämie würde ich ihr dafür nicht zahlen.“ Er lächelte säuerlich. „O nein, ich werde mich hüten.“´

Ebenfalls ein Kriminalroman ist „Der siebente Winter“ von Jan Eik, dessen Druckausgabe erstmals im Jahre 2000 im Verlag der Criminale erschien: Während seines langersehnten Urlaubs erlebt Siegfried Korn eine böse Überraschung. Auf den Geldtransport seines Kombinats wird ein Überfall verübt. Und dieser Überfall läuft genau nach dem Muster ab, den er sich vor vielen Jahren mit drei ehemaligen Studienkollegen im Suff und aus Jux und Dallerei ausgedacht hatte. Zunächst aber erleben wir den Überfall mit:

1. Kapitel

Die Straße schwang sich in einer sanften Kurve zur Brücke empor. Stadtauswärts floss um diese frühe Vormittagsstunde nur spärlicher Verkehr. Auf den menschenleeren Gehwegen schmolzen schwärzlich verkrustete Schneereste, und die Räder des Wartburg-Tourist verursachten auf der vom Tauwasser nassen Fahrbahn ein gleichmäßiges Spritzgeräusch.

Zum Greifen nah hing der rötliche Ball der Wintersonne über der Silhouette der Neubauten.

Das Mädchen auf dem rechten Vordersitz des Wartburg kurbelte die Scheibe ein Handbreit herunter und ließ sich einen Schwall kalter Luft ins Gesicht wehen.

„Endlich wird es Frühling!“, sagte sie sehnsüchtig.

Jens Pohl sah zur Seite und lächelte seine Nachbarin freundlich an. Vom Frühling war wahrhaftig noch nichts zu spüren, aber man dachte schon gern daran, wenn man so etwas Süßes wie die Opitz aus der Kasse neben sich hatte. Wieso war die nur so rot? Zu warm war es wirklich nicht im Wagen. Unwillkürlich senkte er die Fußspitze noch um einen Millimeter und genoss die Brückenabfahrt. Die eingebildete Schnecke hätte sein Lächeln ruhig erwidern können.

„Es zieht!“, mahnte der Mann hinter ihm, den Jens schon fast vergessen hatte; dieser fahlgesichtige Revisor, der auch noch Rothärmel hieß. Ein fischiger Geselle, der ewig etwas herumzunörgeln hatte. Kein Wunder, dass den kein Mensch im Kombinat mochte. Ein bisschen frische Luft konnte dem wahrhaftig nicht schaden, so bleich, wie der aussah. Selbst sein spärliches Haar war farblos.

„Der Frühling kommt erst nach dem siebenten Winter, wie der Kollege Hadank immer sagt.“

Hadank war der Direktor des Betriebsteils IV. Petra Opitz kannte die Redensart von den sieben aufeinanderfolgenden Wintern, die wie die sprichwörtliche Keule von Jüterbog aus Hadanks rhetorischer Rüstkammer stammte.

Gehorsam drehte sie die Scheibe wieder nach oben.

„Danke. Fahren Sie nicht ein wenig zu schnell, Kollege Pohl?“ Was der hatte! Eben zog rechts ein dunkelblauer Lada an ihnen vorbei, mit einem Tempo, dass es Pohl vorkam, als sei der Wartburg stehen geblieben. Bewusst langsam wandte er sich um. „Auf einem Schiff hat der Kapitän die Befehlsgewalt. Wenn es Ihnen zu schnell geht …“

… können Sie ja mit der Straßenbahn fahren, hatte er hinzufügen wollen, doch vorn leuchteten plötzlich die Bremslichter des blauen Lada auf, dann bog der Wagen rechts ab. Mitten auf der Fahrbahn stand eine Gestalt in einer weißen Jacke mit roter Armbinde und mit einem Sprechfunkgerät vor der Brust, die ihn mit einem Zebrastab unmissverständlich aufforderte, dem Lada zu folgen.

„Scheiße!“, entfuhr es Pohl. Er trat härter auf die Bremse als beabsichtigt. Rothärmels wimpernlose Fischaugen kamen ihm im Spiegel ein ganzes Stück näher. Pohl wich dem vorwurfsvollen Blick aus und schaltete nervös herunter.

„Ganz ruhig“, sagte Petra Opitz besänftigend. „Der Lada war viel schneller als wir.“

Vor ihnen fuhr der Lada mit Schwung die Anhöhe hinauf zu dem Parkplatz hinter den kahlen Büschen, auf dem nur Baumaterial lagerte. Neben einem verlassen wirkenden Bauwagen stand ein zweiter Verkehrsposten, der in seinem weißen Kunststoffmantel anscheinend fror. Ein Polizeifahrzeug war nirgends zu sehen.

Jens Pohl hielt eine Wagenlänge hinter dem Lada an. Ihm fiel jetzt auf, dass der Mann in dem weißen Mantel keine Uniformmütze trug, sondern eine Tschapka von undefinierbarer Farbe. Also nur ein Polizeihelfer, schlussfolgerte er, und der darf keine Stempel verteilen. Aber vielleicht eine Ordnungsgebühr kassieren? Na wenn schon, dachte Pohl mit einem Anflug von Galgenhumor, Geld haben wir ja genug dabei.

Der Lada-Fahrer brauchte offenbar nicht einmal seine Papiere vorzuweisen. Er war ausgestiegen und kam auf den Wartburg zu: ein schnauzbärtiger Mann mit Brille und in blauer Steppjacke, der dem Verkehrshelfer auf überraschende Weise ähnelte. Auch er trug einen Schnauzbart und eine Brille.

„Fahren Sie zurück!“, stieß Rothärmel atemlos und so heftig hervor, dass Jens Pohl sich erstaunt umwandte. Obwohl das kaum möglich schien, war Rothärmels Gesicht noch blasser geworden.

„Die wollen uns überfallen!“, schrie er mit sich überschlagender Stimme und packte Pohl beschwörend an der Schulter.

„Der Polizeihelfer?“, fragte Jens Pohl ungläubig, griff aber dennoch nach dem Schalthebel. Einiges war schon merkwürdig an der Situation. Der Rückwärtsgang ging wieder mal nicht rein, doch konnte er den Wagen ohnehin nicht mehr zurücksetzen, weil von hinten der Straßenposten heranhetzte und den Weg versperrte. Außerdem wurde in diesem Augenblick die Tür aufgerissen. Eine behandschuhte Hand, die seltsamerweise dem Lada-Fahrer gehörte, drehte den Zündschlüssel nach links und zog ihn aus dem Schloss. Jens Pohl blickte einigermaßen hilflos drein. Wieso unternahm die weiße Maus nichts. Draußen, auf Petras Seite, war die weiße Jacke zu erkennen, aber der Polizeihelfer sah anscheinend tatenlos zu. Er musste selbst etwas tun, dem Kerl wenigstens die Wagenschlüssel wieder entreißen, losfahren!

Als Pohl endlich laut aufbegehrte: „Was soll denn das?“, traf ihn aus einer Spraydose ein beißender Nebel direkt ins Gesicht und benahm ihm den Atem. Die Hand griff noch einmal an ihm vorbei zum Zündschloss, zerrte Kabel heraus. Dann wurde die Tür zugeschlagen.

„Hilfe!“, kreischte Petra Opitz und noch einmal: „Hilfe!“ – bis ein neuer, lang anhaltender Sprayschwall durch die Tür neben Rothärmel hereinquoll und ihr den Mund verschloss.

Selbst nach Luft ringend, hörte Pohl hinter sich Rothärmel keuchen und jemand mit verstellter, quäkender Stimme kommandieren: „Die Tasche!“ Rothärmel hatte also recht gehabt.

„Nein!“, röchelte der und erstickte beinahe in einem Hustenanfall. Jens Pohl blickte mit tränenden Augen über die Schulter, sah den Griff der Geldtasche in Rothärmels verkrampfter Hand.

„Umdrehen!“, herrschte der Lada-Fahrer Pohl an und versetzte ihm einen schmerzhaften Schlag. Eine weitere Wolke des tückischen Gases wurde in den Wagen geblasen. Petra Opitz zog mit einem Ruck den Riegel zurück und warf sich mit ihrem ganzen Körpergewicht gegen die Tür. Immerhin besaß sie einen braunen Gürtel im Judo.

Die Tür gab keinen Zentimeter nach. Nur der Posten in der weißen Jacke tauchte so plötzlich wieder auf, als habe er neben dem Wagen auf dem Boden gehockt. „Keine Ausbruchsversuche!“, schnauzte er und schlug drohend mit der behandschuhten Faust gegen das Blech. Unwillkürlich holte Petra tief Luft, und mit einem Mal begannen die Konturen des Mannes draußen vor der angelaufenen Scheibe zu verschwimmen. Der schwarze Schnauzbart über gebleckten Zähnen war das letzte, was sie wahrnahmen.

Jens Pohl spreizte die Knie und beugte sich tief hinunter, so tief, wie es seine Figur zuließ.

Hinter ihm knallte die Tür zu. Die haben die Kindersicherung arretiert, dachte er. Die Vordertüren ließen sich auf diese Weise nicht blockieren.

Im Fond röchelte Rothärmel. Jens Pohl fühlte panische Angst in sich aufsteigen. Er brauchte Luft. Luft! Die Fensterkurbel. Wenigstens einen Zentimeter oder zwei. Der Mann draußen schien nicht darauf zu achten, fummelte am Türgriff herum. Dann rannte er plötzlich los, auf den Lada zu, wo der andere weiß verkleidete wartete. Die beiden sprangen in den anfahrenden Wagen. Das Funksprechgerät des einen hatte sich an der Tür verhakt; der Lada aber raste bereits in einer irrwitzigen Kurve über den Parkplatz.

Pohl fuhr zusammen. Die Nummer! Du musst dir die Wagennummer merken. ILN 4… war alles, was er noch ausmachen konnte, ehe der Lada über eine Bohle holperte und hinter dem abgestellten Bauwagen in einen ungepflasterten Weg verschwand.“

Das klingt doch sehr spannend und man wartet förmlich darauf zu erfahren, ob dieser Überfall auf den Geldtransport tatsächlich mit den drei ehemaligen Studienkollegen zu tun hat. Was glauben Sie?

Und jetzt ist es endlich soweit. Der Sommer 2020 ist da. Und damit auch der Lesesommer 2020. Einige Angebote dafür präsentiert Ihnen dieser Newsletter. Viel Vergnügen beim Ansehen, beim Auswählen und natürlich beim Lesen. Weiter eine gute, gesunde und Corona-freie Zeit, bleiben auch Sie weiter vor allem schön gesund und munter und bis demnächst und vor allem – einen schönen Sommer!

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