Aktueller Referentenentwurf Sozialschutz-Paket – Sozialversicherungs- und arbeitsrechtliche Auswirkungen

Das Bundeskabinett hat am 23. März 2020 den Entwurf eines Gesetzes für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket) beschlossen. Der Entwurf wird durch die Koalitionsfraktionen in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht und soll bereits kommenden Sonntag, den 29. März 2020, in Kraft treten. Der Entwurf sieht diverse Regelungen vor, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer betreffen. Wir stellen Ihnen die Wichtigsten vor:

Ausnahmen vom Arbeitszeitgesetz

In das Arbeitszeitgesetz soll eine Verordnungsermächtigung eingefügt werden, die es in außergewöhnlichen Notfällen mit bundesweiten Auswirkungen, insbesondere in epidemischen Lagen von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes, ermöglicht, Ausnahmen von den Arbeitszeitvorschriften zu erlassen. Die Regelung soll dazu beitragen, im Notfall die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung, der Daseinsvorsorge oder die Versorgung der Bevölkerung mit existentiellen Gütern sicherzustellen. Dadurch könnte zeitnah in kritischen Bereichen durch Verordnung von Höchstarbeits- und Ruhezeiten, dem Verbot der Sonntagsarbeit oder vergleichbaren Regelungen abgewichen werden. Dies könnte neben dem medizinischen und ärztlichen Bereich insbesondere auch die Pflege und sonstige Sozialeinrichtungen betreffen, daneben aber beispielsweise auch die Lebensmittel- und Pharmaindustrie, das Transportgewerbe oder Einzelhändler.

Entschädigungsanspruch für Verdienstausfälle bei behördlicher Schließung von Schulen und Kitas für sechs Wochen

Arbeitnehmer sollen zukünftig einen Entschädigungsanspruch für Verdienstausfälle in Höhe von 67 % des Nettoeinkommens bei behördlicher Schließung von Schulen und Kitas aufgrund der Corona-Krise für einen Zeitraum von sechs Wochen haben. Hierzu wird das Infektionsschutzgesetz geändert. Die Auszahlung muss der Arbeitgeber übernehmen, der dann bei der zuständigen Landesbehörde einen Erstattungsantrag stellen kann. Hierdurch dürfte sich die schwierige Frage erübrigen, ob und wenn ja, wie lange Arbeitnehmer nach § 616 BGB einen Anspruch auf Lohnfortzahlung haben, wenn Sie aufgrund der durch Schul- und Kitaschließung notwendigen Kinderbetreuung nicht arbeiten können. Der Entschädigungsanspruch soll für erwerbstätige Sorgeberechtigte von Kindern bis zum 12. Lebensjahr bestehen, wenn sie ihre Kinder aufgrund der Schließung selbst betreuen müssen und daher ihrer beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen können.

Voraussetzung ist jedoch, dass die Betroffenen keine anderweitige zumutbare Betreuung (z.B. durch den anderen Elternteil oder die Notbetreuung in den Einrichtungen) realisieren können. Risikogruppen wie z. B. die Großeltern des Kindes müssen dazu aber ausdrücklich nicht herangezogen werden. Ein Verdienstausfall besteht auch dann nicht, wenn es andere Möglichkeiten gibt, der Tätigkeit vorübergehend bezahlt fernzubleiben wie etwa der Abbau von Überstunden und Zeitguthaben. Auch gehen Ansprüche auf Kurzarbeitergeld dem Entschädigungsanspruch vor. Wer also bereits in Kurzarbeit ist, erhält keine zusätzliche Zahlung. Sie ist auf einen monatlichen Höchstbetrag von EUR 2.016 begrenzt. Die Regelung gilt nicht für Zeiten, in denen die Einrichtung wegen der Schulferien ohnehin geschlossen wäre, und ist befristet bis Ende des Jahres.

Keine Anrechnung von systemrelevanten Nebenbeschäftigungen auf Kurzarbeitergeld

Arbeitnehmer, die aufgrund der aktuellen Situation Kurzarbeitergeld beziehen, sollen während dieser Zeit Beschäftigungen in systemrelevanten Bereichen und Berufen aufnehmen können, ohne dass eine Anrechnung auf das Kurzarbeitergeld erfolgt. Dadurch soll ein Anreiz geschaffen werden, auf freiwilliger Basis vorübergehend Tätigkeiten in systemrelevanten Bereichen, wie z. B. der Landwirtschaft oder im Transportbereich, aufzunehmen. Arbeitnehmer erhalten so die Möglichkeit, ihre Einkommensverluste aufgrund der Kurzarbeit auszugleichen und zugleich einen wertvollen Beitrag zur Bewältigung der aktuellen Krise zu leisten. Arbeitgeber sollten ihre Beschäftigten in Kurzarbeit auf diese Möglichkeit hinweisen und werden zudem prüfen müssen, dass das Soll-Entgelt nicht überschritten wird.

Verlängerter Einsatz kurzfristiger Beschäftigungen möglich

Um Problemen bei der Saisonarbeit insbesondere im Bereich der Landwirtschaft durch die Corona-Krise Rechnung zu tragen, sollen die Zeitgrenzen für die geringfügige Beschäftigung in Form der kurzfristigen Beschäftigung von bisher 3 Monaten oder 70 Tagen auf eine Höchstdauer von 5 Monaten oder 115 Tagen ausgeweitet werden. Die Maßstäbe für die Prüfung der Berufsmäßigkeit, die für § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV gelten, bleiben unverändert und verschärfen sich durch diese befristete Sonderregelung nicht. Die Ausweitung der Zeitgrenzen ist befristet bis zum 31. Oktober 2020. Sie ist aber nicht nur auf die Landwirtschaft oder bestimmte Branchen begrenzt.

Massive Anhebung der Hinzuverdienstgrenze für Rentner und Rentnerinnen

Durch die Corona-Krise besteht aktuell ein besonders hoher Bedarf an medizinischem und pflegerischem Personal. Aber auch in anderen systemrelevanten Bereichen kann es zu Personalengpässen aufgrund von Erkrankungen, Quarantäneanordnungen und dem gesteigerten Versorgungsbedarf kommen. Durch die vorübergehende Anhebung der Hinzuverdienstgrenze von bisher EUR 6.300 auf EUR 44.590 im Jahr 2020 soll Rentnern und Rentnerinnen die Möglichkeit eröffnet werden, ohne Nachteile für ihre Rente in der aktuellen Situation mit ihrer Arbeitskraft Hilfe zu leisten.

Finanzielle Unterstützung sozialer Dienstleister

Die sozialen Dienstleister in Deutschland sollen sich aktiv in die Bewältigung der Auswirkungen der Coronavirus Krise einbringen. Soziale Dienstleister und Einrichtungen der Fürsorge in Deutschland sollen daher finanziell unterstützt werden, damit sie nicht in ihrem Bestand gefährdet sind. Dies wird umgesetzt mit einem Sicherstellungsauftrag der öffentlichen Hand für die sozialen Dienstleister und Einrichtungen, die Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern und anderen Gesetzen erbringen. Voraussetzung hierfür ist, dass die sozialen Dienstleister und Einrichtungen auch zur Bewältigung der Auswirkungen der Pandemie beitragen. Hierzu sollen sie in geeignetem und zumutbarem Umfang Arbeitskräfte, Räumlichkeiten und Sachmittel zur Verfügung stellen. Sie werden im Rahmen ihrer Aufgaben von den jeweils zuständigen Leistungsträgern aufgefordert, mit ihnen abgestimmte konkrete Beiträge zur Bewältigung der Auswirkungen der Coronavirus SARS-CoV-2 Krise zu identifizieren und, soweit sie geeignet zumutbar und rechtlich zulässig sind, auch umzusetzen, insbesondere in der Pflege, und in sonstigen gesellschaftlichen und sozialen Bereichen (z. B. die Unterstützung bei Einkäufen, Begleitung bei Arztbesuchen, telefonische Beratung in Alltagsangelegenheiten). Erfordert die Coronavirus SARS-CoV-2 Krise auch den Einsatz in anderen Bereichen (z. B. Logistik für die Lebensmittelversorgung oder Erntehelfer), kann die Erklärung im Rahmen der rechtlich zulässigen Möglichkeiten und der Zumutbarkeit auch auf diese Bereiche ausgedehnt werden. Die Leistungsträger sollen ab sofort den Bestand der sozialen Dienstleister sicherstellen.

Der Sicherstellungsauftrag gilt zunächst bis zum 30. September 2020 und kann bis zum 31. Dezember 2020 verlängert werden. Durch den Sicherstellungsauftrag wird eine Rechtsgrundlage geschaffen, durch welche die Leistungsträger weiterhin an die sozialen Dienstleister zahlen können und zwar unabhängig davon, ob diese die Leistung tatsächlich ausführen oder nicht. Der Sicherstellungsauftrag soll durch sachlich subsidiäre und zeitlich begrenzte monatliche Zuschüsse der Leistungsträger an die sozialen Dienstleister erfolgen. Der Sicherstellungsauftrag umfasst alle sozialen Dienstleister, die mit den Leistungsträgern im maßgeblichen Zeitpunkt des Inkrafttretens von Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz in Leistungsbeziehungen stehen.

Erleichterter Zugang zum Kinderzuschlag

Für Familien, die Einkommenseinbrüche durch die Corona-Krise erleiden, soll der Zugang zum Kinderzuschlag vereinfacht werden. Daher soll nun für die Prüfung des Kinderzuschlags an das aktuelle Einkommen der Eltern im letzten Monat vor Antragstellung – anstatt an das Einkommen aus den letzten sechs Monaten – angeknüpft werden. Für sogenannte Bestandsfälle soll eine einmalige Verlängerung mit dem höchstmöglichen Kinderzuschlag eingeführt werden, damit die Leistungen möglichst ohne Unterbrechung gewährt werden können.

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