Matera – Kulturhauptstadt 2019

Dass die Höhlenstadt im Süden Italiens 2019 zur Kulturhauptstadt Europas wird – zusammen mit Plovdiv in Bulgarien, rückt den Denkmalschutz ins Interesse der Öffentlichkeit. Dass Menschen in Europa in Höhlen leben, ist ein Anachronismus. Mit der neolithischen Revolution und der Sesshaftigkeit wurde diese Art des Wohnens weltweit obsolet. Dass Keine breite Öffentlichkeit auf die Felswohnungen aufmerksam wurde, verdankt die Welt dem italienischen Maler, Schriftsteller und Arzt Carlo Levi. Als Gegner Mussolinis wurde er in ein abgelegenes Tal der Basilicata abgeschoben. Seinen erzwungenen Aufenthalt dort beschrieb er in seinem Buch "Christus kam nur bis Eboli" (1945). Der romanhafte Bericht schildert die geistige Enge, den Aberglauben und das mittelalterliche Denken der Bewohner, für die der Schriftsteller mit der Zeit neben Mitleid eine große Zuneigung entwickelte.  Seine Schwester, die ihn besuchte, bot sich dieses Bild: "In diesen schwarzen Löchern mit Wänden aus Erde sah ich Betten, elenden Hausrat und hingeworfene Lumpen. Auf dem Boden lagen Hunde, Schafe, Ziegen und Schweine. Im Allgemeinen verfügt jede Familie nur über eine solche Höhle, und darin schlafen alle zusammen, Männer, Frauen, Kinder und Tiere. So leben zwanzigtausend Menschen . . . Ich habe noch nie ein solches Bild des Elends erblickt." Der Anblick erinnerte sie an die Lektüre von Dantes Inferno in der Schule.

Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass Europäer im 20. Jahrhundert in solch menschenunwürdigen Behausungen vegetierten? Dazu muss man wissen, dass der Süden Italiens, vor allem die "Murge", die Landschaft um Matera so bitterarm war, dass die Kleinbauern und Schäfern sich keine Häuser leisten konnten. Das Sagen hatten die Briganten, Räuber, vor denen die Höhlen besseren Schutz boten als freistehende Häuser.  Handel und Wandel vollzogen sich in den Städten an der Küste, eine Industrie konnte sich nur im Norden zwischen Turin und Mailand entwickeln. Nun war es ja nicht so, dass sich die Zentralregierung in Rom nicht um den Süden kümmerte. Schon die Verlegung der Hauptstadt ins südliche Tom sollte ein Zeichen setzen. Es flossen auch genügend Gelder in Richtung Süden. Was die Beamten aus dem Piemont, die nach französischem Vorbild den Zentralstaat schaffen wollten, ignorierten, waren die Traditionen und Geschichte des Mezzogiorno. In der einst blühenden Region, die stolz war auf ihre griechische Geschichte und auf Gelehrte wie Pythagoras und Archimedes entwickelte sich – wie überall in Westeuropa – nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches der Feudalismus. Diese Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung stützt sich auf persönliche Bindungen und Freundschaften zwischen Feudalherr und Vasall. Für die Herren des Landes, aber auch die armen Leute war die rentenkapitalistische Wirtschaftsweise gottgegeben. Als dann in den 50er Jahren die Transferzahlungen aus dem „reichen Norden“ im unterentwickelten Süden ankamen, griffen die Feudalherren sie ab. Bei den Armen kam kaum etwas an. Nun sollte die Industrialisierung forciert werden. In Tarent wurde ein Stahlwerk aus dem Boden gestampft in der Hoffnung, weitere Fabriken in den Süden zu locken. Bald sprach sich herum, dass die Rate in den Krebsfällen im alten griechischen Taranton dramatisch anstieg, was die Bevölkerung in Wut versetzte. Dass Firmen aus dem Norden das Stahlwerk im Süden bauten, weil sie hier ungestraft die Luft verschmutzen konnten, war bald allgemeine Überzeugung.

Parallel zur missglückten Industrialisierung sollten nun die Höhlen oder Sassi verschwinden. Wenn die Menschen nun in Neubauten mit Küche, Dusche, WC und Aufzug wohnen konnten, sollte dies als Ausweis gelten, dass die Regierung sich für sie einsetzt. Nun sperrten die Behörden zuerst die baufälligen Teile der Schlucht mit Bändern ab und drängten die Bewohner in die Hochhäuser der Neustadt. Politiker sprachen von der vergogna d’Italia, die Schande Italiens und setzten im Jahr 1952 einen Sondererlass der Regierung durch, die eine Zwangsräumung der Grotten vorsah .

Als sich dagegen Widerstand der 15.000 Betroffenen entwickelte, schob man dies der sprichwörtlichen Sturheit der Terroni – so das Schimpfwort der Norditaliener für die Bewohner des Südens zu. Altgewohnte Bande der Nachbarschaft würden zerstört und die Menschen, die seit Generationen Freud und Leid teilten, würden nun isoliert wohnen, erklärten verständigere Zeitgenossen den Widerstand. Doch es steckte mehr dahinter.  Einerseits waren die Sassi eine billig zu konstruierende Bleibe. In den weichen Tuffstein ließen sich mit einfachen Sägen Höhlen treiben und mit den ausgeschnittenen Steinen errichtete man eine gemauerte Fassade und gestaltete sie. Andererseits wurde es nun klar, dass die Sassi eine Art des Zusammenlebens zeigten, die bis in vorantike Zeiten zurückreicht. Schließlich ist Matera so alt wie Babylon oder Aleppo. Hier gäbe es doch nun die Möglichkeit lebendige Archäologie zu treiben. Bald ließen sich interessierte Besucher das komplizierte Zusammenspiel der Gesellschaftsschichten erklären. So erfuhren sie voller Staunen, dass das Schreckensbild aus Carlo Levis Buch eher das Ergebnis oberflächlicher Betrachtung eines Menschen ist, der seine Zeit mit geistreichen Gesprächen in den Salons von Turin verbrachte. Welcher reiche Bürger würde freiwillig in Dantes Inferno ziehen. Dass hier auch gutbetuchte wohnten, zeigen die liebevoll geschmückten Fassaden stolzer Bürgerhäuser zwischen den Höhlen der Weingärtner und Bauern. Dass deren Zusammenarbeit und Zusammenleben gut funktionierte, zeigt ein Backhäuschen, dass zwischen mehreren Häusern, aber wegen der Brandgefahr in sicherem Abstand steht. Die Höhlen selbst bieten Werkstätten, Ausschachtungen zum Stampfen der Weintrauben. Schlafzimmer sind im hinteren Teil, Küche und Ställe wegen des Geruchs im vorderen Bereich. Wie wichtig die Spiritualität war, bezeugen mehr als 150 Felsenkirchen, eingerichtet von Eremiten im Mittelalter.

Überhaupt fühlt sich der heutigen Besucher gern an biblische Zeiten erinnert, vor allem, wenn er die Stadt von der Gravina, der gegenüberliegenden Anhöhe aus betrachtet. Kein Wunder also, dass die "Sassi" einer großen Zahl von Filmen die Kulisse lieferten, so Pasolinis "Das 1. Evangelium – Matthäus" (1964), Mel Gibsons "Die Passion Christi" (2004) und die Neuverfilmung von "Ben Hur" (2016).

Es gibt also endliche viele Gründe, dass das Phänomen Matera der Nachwelt erhalten bleibt. Nur wie?

Man könnte ja aus den alten Höhlen schicke Eigentumswohnungen machen. Interessenten gäbe es genug, der Tuff ist ideal zum Bau von Garagen. Gentrifizierung heißt die Parole. Nur, dies hätte nicht nur die Vernichtung der Baustrukturen zur Folge, überdies ginge das ganze Wissen um die sozialen Zusammenhänge verloren. Wichtig für die Behörde zur Umwandlung der Stadt, die sich Consorzio di bonifica nennt, ist vor allem, dass die Bewohner bleiben, ihre sozialen Strukturen erhalten bleiben und Möglichkeiten haben, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dies ist nicht einfach. Schließen sind die Häuser mit Treppen verbunden, über die kein Auto, auch kein SUV fahren kann.  Andererseits gibt es kaum noch Mailtiere, die hier als universelles Lastentier sich bewegten. Dafür hat man einen guten Kompromiss gefunden. In die Treppen wurde eine unauffällige Rampe gebracht, die der in Italien beliebten  „Biene“ (ape) der Marke Piaggio die Möglichkeit Waren zu den Häusern zu bringen. Frischwasser und Abwasser lassen sich im Tuff gut verstecken. Kamine für Abluft und Heizung bekommen eine elegante Abdeckung und scheinen sich gut einzupassen.

Eine Reihe von Museen (So war Matera) dokumentieren das Leben in alten Zeiten und erhalten das Wissen, dass an die nächsten Generationen weitergegeben werden soll. Gleichzeitig werden durch solche kulturellen Institutionen Arbeitsplätze geschaffen, am besten für Leute, die etwas zu erzählen haben.

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